Nr. 63Ministerrat (1. Jänner 1868–21. November 1871)

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Nr. 63Ministerrat, Wien, 25. Mai 1868

RS.Reinschrift fehlt; Ansprache des Kaisers an den Ministerrat (Kanzleischrift) in

., Kab. Kanzlei, Direktionsakten, Fasz. 5/1868; Teildruck: , Kaiser Franz Joseph und das Parlament, 314; Wortlaut und Datum der Ah. Entschließung ., Kab. Kanzlei, Protokoll 1868.

P. Hueber; VS.Vorsitz Kaiser; anw.anwesend Taaffe, Plener, Hasner, Potocki, Giskra, Herbst, Brestel, Berger; abw.abwesend Auersperg.

  • [I.] Sanktionierung der drei konfessionellen Gesetze.
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    Zu [I. Sanktionierung der drei konfessionellen Gesetze

    Zu [I.] Kirchen, ReligionenGesetze, konfessionelle

    ., Kab. Kanzlei, Direktionsakten, Fasz. 5/18682: Die durch die Beschlüsse beider Häuser des Reichsrates1/2 festgestellten Entwürfe des Ehe-, Schul- und interkonfessionellen Gesetzes3 sind Mir nunmehr von Meinem Ministerrate mit dem Antrage auf Sanktionierung vorgelegt worden4. Indem Ich den für Staat und Kirche so wichtigen Schritt durch Erteilung der erbetenen Sanktionierung unternehme und hiedurch den Entwürfen Gesetzeskraft verleihe, erwächst für Mich, dem die Sorge für die Wohlfahrt des Reiches vor allem am Herzen liegt, die gebieterische Regentenpflicht, keinen Zweifel darüber entstehen zu lassen, unter welchen Voraussetzungen und von welchen Grundgedanken geleitet, Ich den wichtigen Staatsakt der Sanktionierung vollzogen habe.

    Fest entschlossen, die Staatsgrundgesetze, auf welchen die neue Ordnung der Dinge beruht, offen und aufrichtig in Ausführung zu bringen, zähle Ich mit Sicherheit und Zuversicht darauf, dass in deren Bestimmungen auf religiösem und kirchlichem Gebiete5 nicht noch weitergehende Berechtigung zu Folgerungen gesucht und gefunden werde, die mit den Geboten der Gerechtigkeit, der Rechtssicherheit und der Freiheit in offenem Widerspruch stehen. Durch die Sanktionierung dieser drei Gesetze sind auf diesem Gebiet der Gesetzgebung neue Zustände geschaffen worden6, welche aber nur dann eine dauernde Festigkeit gewinnen, wenn nicht mehr weiter an denselben gerüttelt wird, daher namentlich jenen bedauerlichen Bestrebungen wirksame Schranken gezogen werden müssen, welche dahin gerichtet sind, die Hauptstützen der Gesellschaft zu untergraben. Ich erwarte mit Zuversicht, dass sich die einzelnen Bestimmungen der vorliegenden Gesetze unter einer patriotischen, gewissenhaften und energischen Leitung zu festen Elementen und kräftigen Mitteln der Versöhnung, Eintracht und tätigen Zusammenwirkens aller sozialen Kräfte für das öffentliche Wohl gestalten werden. Ich erwarte daher, dass die Auslegung, Anwendung und Durchführung der bezüglichen Beschlüsse im Wege der Administration jene Befürchtungen entkräften werden, welche deren Textierung herbeizurufen geeignet ist7, und mehr und mehr der Beweis geliefert werde, dass dieselben der notwendig gewordenen Reform des Verfassungslebens einzig und allein ihre Entstehung verdanken. Was insbesondere die Regelung des Verhältnisses zwischen Kirche und Schule anbelangt, so rechne Ich auf die Einhaltung der ausdrücklich gegebenen Zusicherung, dass durch die neuen Gesetzesbestimmungen weder die religiöse Freiheit, noch das Recht jeder Kirche auf selbstständige Wahrung und Verfolgung ihrer eigentümlichen kirchlichen Interessen angetastet, noch der religiöse Sinn der Bevölkerung gefährdet werde8. Während jetzt noch im Ehegesetze eine große Anzahl gläubiger Katholiken nur ein Zurückgehen auf Verhältnisse erblickt, welche bis zu den ersten Jahren Meiner Regierung legal bestanden haben9, müsste bei einem weiteren schrankenlosen Fortschreiten die Gefahr eines ernsten Konfliktes als unausweichlich erscheinen. Zu einem Bruche mit der Kirche werde Ich nimmermehr die Hand bieten, dessen dürfen Sie sich ebenso für versichert halten als Ich niemals des Glaubens sein könnte, dass Sie die Verantwortung für die unabsehbaren Folgen auf sich nehmen möchten und könnten, die ein solcher für die Monarchie nach sich ziehen müsste. Ich bedarf endlich sicherer Bürgschaft dafür, dass die gesetzlichen Bestimmungen, welche zum Schutze aller anerkannten Konfessionen bestehen, der katholischen Kirche gegenüber in strengerem Maße, als dies bisher geschehen, – Ich brauche nur auf den ungeahndet gebliebenen, alles Maß überschreitenden Missbrauch der Pressfreiheit10 zu verweisen – zum Vollzuge kommen und den Zuwiderhandelnden die volle Strenge des Gesetzes treffe.

    Unter dem Schutze der Verfassung und einer starken und gerechten Regierung sollen sich alle Konfessionen so ungehindert bewegen und frei entwickeln können, wie ihnen dieses nunmehr gewährleistet ist, diese Freiheit ermöglicht den Aufschwung ihrer Kräfte und verbürgt die gegenseitige Achtung ihrer Rechte, ohne welche das konstitutionelle Leben, in welches wir getreten, unmöglich gedeihen kann. Keine Anstrengung wird Mir zu groß erscheinen, um diesen auf kirchlicher Freiheit fußenden Rechtszustand herzustellen und zu erhalten. Wir bedürfen des Friedens ebenso dringend im Innern wie nach Außen, damit die Neugestaltungen Wurzel schlagen und sich zu den gehofften segensreichen Wirkungen entfalten können.

    Wien, den 25. Mai 186811.

    Ah. E.Allerhöchste Entschließung Ich habe den Inhalt dieses Protokolls zur Kenntnis genommen. Wien, 14. Juni 1868. [Franz Joseph].

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    2Der im folgenden abgedruckte Text enthält den Aktenvermerk Ansprache Sr. Majestät an den Ministerrat anlässlich der Sanktion des Ehegesetzes.
    3 Nr. 47, Nr. 48 und Nr. 49, alle ex 1868. Der Ministerrat beschäftigte sich in mehreren Sitzungen zwischen dem 4. 2. und dem 28. 4. 1868 wiederholt mit den konfessionellen Gesetzen (Protokolle nicht erhalten).
    4Das Schulgesetz wurde von Hasner mit Vortrag v. 30. 4. 1868, das Ehegesetz von Herbst mit Vortrag v. 1. 5. 1868 sowie das Gesetz über die interkonfessionellen Verhältnisse von Hasner mit Vortrag v. 19. 5. 1868 dem Kaiser zur Sanktionierung vorgelegt. Die Ah. E.Allerhöchste Entschließung wurde für alle drei Gesetze am 25. 5. 1868 erteilt, , Kab. Kanzlei. KZ. 1574, 1579, 1800, alle ex 1868.
    5 Nr. 142/1867 Art. 14–16.
    6Das am 18. August 1855 zwischen dem Kaiser und dem Papst abgeschlossene Konkordat hatte der katholischen Kirche im Kaisertum Österreich eine Sonderstellung unter den anerkannten Konfessionen eingeräumt und ihr unter anderem weitgehende Vorrechte im Bereich des Schulwesens (Art. 5–8) sowie der Eheangelegenheiten von Katholiken (Art. 10) zuerkannt. Nr. 195/1855. Mit der Sanktionierung der drei konfessionellen Gesetze wurden wesentliche Teile des Konkordats faktisch außer Wirksamkeit gesetzt, siehe dazu , Die römisch-katholische Kirche, 42–47.
    7Gemeint sind hier vor allem die mit großer Schärfe geführten Debatten im Abgeordneten- und Herrenhaus des Reichsrates, , Verfassung oder Konkordat?, 68–89.
    8Wörtlich hatte Hasner in seinem Vortrag v. 30. 4. 1868 bemerkt, dass durch die einschlägigen §§ 1–8 weder die religiöse Freiheit, noch das Recht jeder Kirche auf selbstständige Wahrung und Verfolgung ihrer eigentümlichen kirchlichen Interessen angetastet, noch endlich der religiöse Sinn der Bevölkerung gefährdet werde, , Kab. Kanzlei. KZ. 1574/1868.
    9Bis zum Abschluss des Konkordats hatten für alle Konfessionen die im festgelegten Bestimmungen über das Eherecht uneingeschränkt Gültigkeit gehabt (§§ 44–136), Nr. 946/1811. Mit diesem Zustand unzufrieden, hatte Kaiser Franz Joseph den Kultusminister mit einem Ah. Kabinettsschreiben vom 2. 12. 1851 beauftragt, die Einleitungen zu treffen, um die österreichische Gesetzgebung in Ehesachen für Katholiken in die nötige Übereinstimmung mit den Satzungen der Katholischen Kirche zu bringen, MR. v. 3. 12. 1851, Ömr. II/5, Nr. 592. Dieser Befehl hatte einen Prozess in Gang gesetzt, an dessen Ende der Abschluss des Konkordats von 1855 gestanden war. Das am 25. 5. 1868 sanktionierte Ehegesetz unterstellte die Katholiken hinsichtlich des Eherechts wieder den Bestimmungen des Abgb. und wies Streitfälle den weltlichen Gerichten zu.
    10Insbesondere von Seiten der liberalen Presse wurde mitunter vehement für die konfessionellen Gesetze und gegen das Konkordat Stellung bezogen, Vocelka, Verfassung oder Konkordat?, 95–130.
    11Gegenstand wurde fortgesetzt im MR. II v. 15. 6. 1868/X. (nicht erhalten).

    How to cite

    Die Ministerratsprotokolle 1848–1918 (statisch), herausgegeben von Hanna und Ronja, LaLe 2025 (https://acdh-tool-gallery.github.io/mrp-static/MRP-3-0-02-0-18680525-P-0063.html)