Nr. 11 Ministerrat (23. Juli 1914–22. November 1916)

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Nr. 11Ministerrat, Wien, 10. August 1914

RS.Reinschrift; P. Ehrhart; VS.Vorsitz Stürgkh; BdE.Bestätigung der Einsicht und anw.anwesend (Stürgkh 10. 8.), Georgi, Hochenburger, Heinold, Forster, Hussarek, Trnka, Schuster, Zenker, Engel, Morawski.

  • I. Erwirkung der Erlassung einer kaiserlichen Verordnung betreffend den Schutz der zu Zwecken der Kriegsführung aus ihrem Aufenthaltsorte zwangsweise entfernten Zivilpersonen.
  • II. Erwirkung der Erlassung einer kaiserlichen Verordnung betreffend die Kolportage von Sonderausgaben periodischer Druckschriften aus Anlass der Kriegsereignisse.
  • III. Zollfreie Einfuhr von Getreide.
  • IV. Erwirkung des Ordens der Eisernen Krone II. Klasse für den Sektionschef im Ministerratspräsidium, Josef Klimscha.
  • V. Erwirkung des Adelstandes für den Stabsarzt in der Evidenz der Landwehr Dr. Josef Winter in Wien und des Ordens der Eisernen Krone III. Klasse für den Oberarzt im Verhältnisse der Evidenz der Landwehr, außerordentlichen Professor für allgemeine und experimentelle Pathologie und Adjunkt am serotherapeutischen Institut in Wien Dr. Rudolf Kraus.
  • 5740 Protokoll des zu Wien am 10. August 1914 abgehaltenen Ministerrates unter dem Vorsitze Sr. Exzellenz des Herrn Ministerpräsidenten Grafen Stürgkh.
    I. Erwirkung der Erlassung einer kaiserlichen Verordnung betreffend den Schutz der zu Zwecken der Kriegsführung aus ihrem Aufenthaltsorte zwangsweise entfernten Zivilpersonen

    I. KriegssicherheitsmaßnahmenDeportationen Der Minister des Innern erbittet und erhält die Zustimmung des Ministerrates zur Erwirkung einer kaiserlichen Verordnung aufgrund des § 14 Staatsgrundgesetz betreffend den Schutz der zu Zwecken der Kriegsführung aus ihrem Aufenthaltsorte zwangsweise entfernten Zivilpersonen.

    Die kriegerischen Verhältnisse können es mit sich bringen, dass im Interesse der Kriegsführung die Notwendigkeit besteht, die Zivilbevölkerung aus einzelnen Orten zu entfernen. Es sei nun notwendig, für diesen Fall Vorkehrungen zu treffen, damit die von ihrem Wohnsitz entfernten Personen anderwärts Unterkunft und, falls sie nicht für sich selbst vorzusorgen imstande sind, Arbeitsgelegenheit oder sonstige Versorgung finden3.

    II. Erwirkung der Erlassung einer kaiserlichen Verordnung betreffend die Kolportage von Sonderausgaben periodischer Druckschriften aus Anlass der Kriegsereignisse

    II. Presse, allgemeinKolportage Der Minister des Innern erbittet und erhält die Zustimmung des Ministerrates zur Erwirkung einer kaiserlichen Verordnung aufgrund des § 14 Staatsgrundgesetz betreffend die Kolportage von Sonderausgaben periodischer Druckschriften aus Anlass der Kriegsereignisse.

    Nach dem gegenwärtigen Stande der Gesetzgebung sei die Kolportage nicht zulässig, anderseits lasse sie sich aber unter den gegenwärtigen Verhältnissen angesichts des ungeheuren Bedürfnisses der Öffentlichkeit nach Nachrichten nicht ganz vermeiden. Es erscheint daher zweckmäßig, sie in einem beschränkten und geregelten Ausmaße zuzulassen. Bei den im Wege der Durchführung zu treffenden Anordnungen werde auch an die Einhebung einer Gebühr für kriegshumanitäre Zwecke gedacht4.

    III. Zollfreie Einfuhr von Getreide

    III. ZollNahrungsmittel Der Leiter des Finanzministeriums erinnert daran, dass bereits in der Sitzung des Ministerrates vom 8. d. M. die zollfreie Einfuhr von Getreide in Aussicht genommen worden sei. Er möchte nun bedingungsweise, nämlich unter der Voraussetzung, dass die bereits erbetene Zustimmung Ungarns tatsächlich einlange5, dieses Projekt auf breiterer Basis in die Wege leiten. Zu diesem Zwecke beabsichtige er eine kaiserliche Verordnung zu erwirken, wodurch die Regierung ermächtigt wird, für Waren, die als Nahrungsmittel sowie zur Befriedigung anderer notwendiger Lebensbedürfnisse für Menschen oder als Futtermittel für Haustiere dienen, auf die Dauer der durch den Kriegszustand herbeigeführten außerordentlichen Verhältnisse die bestehenden Zölle ganz oder teilweise aufzuheben. Nach Eintritt normaler Verhältnisse wären die getroffenen Maßnahmen im Verordnungswege wieder außer Kraft zu setzen.

    Der Ministerrat stimmt unter der vom Leiter des Finanzministeriums gekennzeichneten Voraussetzung der Erwirkung einer solchen kaiserlichen Verordnung zu6.

    IV. Erwirkung des Ordens der Eisernen Krone II. Klasse für den Sektionschef im Ministerratspräsidium, Josef Klimscha

    IV. Auszeichnungen Der Ministerpräsident erbittet und erhält die Zustimmung des Ministerrates zur Erwirkung des Ordens der Eisernen Krone II. Klasse für den Sektionschef im Ministerratspräsidium Josef Klimscha. Der Genannte, geboren 1866, steht seit 1891 im Staatsdienst und fungiert seit 1907 als Vorstand der Präsidialkanzlei des Ministerratspräsidiums. Im April 1912 durch die Ag. Verleihung des Titels und Charakters eines Sektionschefs ausgezeichnet, wurde er im Dezember desselben Jahres zum Sektionschef befördert; seit mehreren Jahren sind ihm auch das staatsrechtliche Departement und das Rechnungsdepartement des Ministerratspräsidiums unterstellt. Infolge seiner hervorragenden Fähigkeiten, seiner strengen Gewissenhaftigkeit und seiner vorbildlichen Hingebung an den Ah. Dienst hat er es verstanden, den ihm übertragenen, nicht nur äußerst umfangreichen, sondern vielfach auch besonders heiklen Aufgaben unter schwierigen Verhältnissen im vollsten Umfang gerecht zu werden, sodass nach jeder Richtung die Voraussetzungen für ein neuerliches Zeichen Ah. Anerkennung gegeben wären7.

    V. Erwirkung des Adelstandes für den Stabsarzt in der Evidenz der Landwehr Dr. Josef Winter in Wien und des Ordens der Eisernen Krone III. Klasse für den Oberarzt im Verhältnisse der Evidenz der Landwehr, außerordentlichen Professor für allgemeine und experimentelle Pathologie und Adjunkt am serotherapeutischen Institut in Wien Dr. Rudolf Kraus

    V. Der Minister für Landesverteidigung erbittet und erhält die Zustimmung des Ministerrates zur AdelErhebungErwirkung des Adelstandes für den Stabsarzt in der Evidenz der Landwehr, Dr. Josef Winter in Wien und des Ordens der Eisernen Krone III. Klasse für den Oberarzt im Verhältnisse der Evidenz der Landwehr außerordentlichen Professor für allgemeine und experimentelle Pathologie und Adjunkt am serotherapeutischen Institut in Wien, AuszeichnungenDr. Rudolf Kraus. AdelErhebungDr. Josef Winter hat sich durch seine überaus munifizenten Widmungen für die Zwecke der öffentlichen Gesundheitspflege, insbesondere aber für das Rote Kreuz ungewöhnliche Verdienste erworben. Hervorzuheben ist auch die Tatsache, dass er nach den Ratschlägen des Professors Kraus, der seinerzeit am Balkan Studien zur Bekämpfung der Kriegsseuchen gemacht hatte, auf seine Kosten sechzehn mobile Epidemielaboratorien anfertigen ließ und sie dem Ministerium für Landesverteidigung übergab. AuszeichnungenDr. Rudolf Kraus hat sich im Interesse der szientifischen und praktischen Vorbereitung der Kriegskrankenpflege, speziell der Bekämpfung der Kriegsseuchen mit großer Hingebung betätigt und neben seiner bereits erwähnten Mitarbeit an der Schaffung der mobilen Epidemielaboratorien mehrere aktive Landwehrärzte zu tüchtigen Bakteriologen herangebildet8.

    Wien, am 10. August 1914. Stürgkh. Ah. E.Allerhöchste Entschließung Ich habe den Inhalt dieses Protokolles zur Kenntnis genommen. Wien, am 19. Oktober 1914. Franz Joseph.

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    2978-3-7001-9298-5
    3Auf Vortrag Heinolds v. 11. 8. 1914 wurde die kaiserliche Verordnung mit Ah. E.Allerhöchste Entschließung v. 11. 8. 1914 erlassen, , Kab. Kanzlei, KZ. 2027/1914, publiziert als Nr. 213/1914.
    4Auf Vortrag Heinolds v. 10. 8. 1914 wurde die kaiserliche Verordnung mit Ah. E.Allerhöchste Entschließung v. 11. 8. 1914 erlassen, , Kab. Kanzlei, KZ. 2019/1914, publiziert als Nr. 215/1914.
    5Fortsetzung des MR. v. 8. 8. 1914/VI. Zur erbetenen Zustimmung Ungarns siehe dort, Anm. 7.
    6Die im Telegramm Stürgkhs v. 8. 8. 1914 (K.) erbetene Zustimmung zur Zollfreiheit von Getreide, Ministerratspräsidium, Zl. 4360/1914, lehnte der ungarische Ministerpräsident Tisza in seiner Antwort v. 10. 8. 1914 (Abschrift) kategorisch ab, da kein größerer Konsum zu erwarten sei; nur die Aufhebung des Zolls gegenüber den zollfreien Städten Triest und Fiume sei vereinbart gewesen; als Kompromiss schlug er vor, die Zollregelung Fiume/Triest auf Tirol und das Küstenland auszuweiten. Dies hätte aber laut Schreiben Stürgkhs v. 12. 8. 1914 (K.) an Innenminister, Handelsminister, Ackerbauminister und den Leiter des Finanzministeriums wegen des Kriegseintrittes nur Auswirkungen auf Tirol, nicht aber Dalmatien gehabt. Stürgkh appellierte mit Schreiben v. 11. 8. 1914 (K.) noch einmal an Tisza, der Zollfreiheit des Getreides doch zuzustimmen. Als Entgegenkommen verwies er auf einen Vorschlag des Kriegsministeriums v. 4. 8. 1914, nur die allernotwendigsten Artikel für die Armee vom Zoll zu befreien und so die Zivilversorgung zu entlasten, als negative Konsequenz einer ungarischen Weigerung sagte er Lebensmittelknappheit und Preistreiberei voraus und in Konsequenz die Schwächung der Moral der Truppe wegen Unterversorgung der Bevölkerung, Ministerratspräsidium, Zl. 4404, 4409, beide ex 1914. Das Kriegsministerium schlug mit Schreiben v. 22. 8. 1914 die zollfreie Einfuhr von Lebensmitteln vor, Beilage zu Abschrift von Schreiben Stürgkhs an Zenker v. 27. 8. 1914, FM., allg., Zl. 67667/1914. Stürgkh schrieb am 3. 9. 1914 erneut an Tisza, Ministerratspräsidium, Zl. 4745/1914, danach beendete er die Korrespondenz, weil von ungarischer Seite auf die Argumentation der österr. Reg. gar nicht eingegangen wird. Daraufhin erbat Engel mit Vortrag v. 15. 9. 1914 die Ermächtigung der Regierung, Verfügungen bezüglich des Warenverkehres mit dem Ausland zu treffen. Diesem Antrag stimmte Franz Joseph mit Ah. E.Allerhöchste Entschließung v. 24. 9. 1914 zu, , Kab. Kanzlei, KZ. 2235/1914, publiziert als Nr. 251/1914. Da sich seither aber leider die Verhältnisse von Tag zu Tag weiter verschärft[en], so dass sie nunmehr geradezu unerträglich geworden sind und die Regierung von regionalen Körperschaften mit Telegrammen förmlich bestürmt werde, machte Stürgkh mit Schreiben v. 1. 10. 1914 (K.) einen erneuten Anlauf – mit Unterstützung des Außenministeriums, das im kurzen Wege Statistiken beigesteuert hatte, um die Dramatik der Lage zu unterstreichen, sowie mit Hinweis auf die Krise von 1909 und einen Meinungsumschwung in der ungarischen Öffentlichkeit, Ministerratspräsidium, Zl. 5269/1914. Siehe auch v. 20. 9. 1914. Von 29. 9. bis 3. 10. 1914 tagten zu diesem Thema Zoll- und Handelskonferenzen (Protokolle), HM., Präs. 6270/1914. Dass auch das K. M. für die Sache besonders interessiert worden war, wie Stürgkh in einer Aktennotiz bemerkte, scheint eine Änderung der ungarischen Position bewirkt zu haben, denn mit Schreiben v. 7. 10. 1914 (Abschrift) wandte sich Engel an Teleszki und bekam die Antwort, dass die ungarische Regierung den h[ier]a[mtlichen] in Aussicht genommenen Maßnahmen zustimmt, jedoch nur unter dem Vorbehalte, „daß es dem ganz freien Ermessen jeder beiden Reg. völlig vorbehalten werden müße, wann sie schriftlichen und für andere Reg. absolut bindenden Antrag auf in drei [Wo]chen zu erfolgendes Wiederinkrafttreten der Zölle der Tarifnummer [IV] (Mehl- und Mahlprodukte) zu []n sich veranlaßt sieht“, woraufhin Engel den Erlass der Verordnung für den 9. 10. 1914 ankündigte, so kein weiterer Einspruch aus Budapest käme, Ministerratspräsidium, Zl. 5495/1914. Aufgrund der Verordnung v. 24. 9. 1914 wurden, nachdem die ungarischen Minister im kurzen Wege zugestimmt hatten (ungarischer Ministerrat v. 9. 10. 1914/4), am 9. 10. 1914 Zölle mit einer Ministerialverordnung der Ministerien der Finanzen, des Handels und des Ackerbaues betreffend die zeitweilige Außerkraftsetzung der Zölle für Getreide, Hülsenfrüchte, Mehl und Mahlprodukte, außer Kraft gesetzt, publiziert als Nr. 270/1914. Der Gegenstand wurde im Ministerrat nicht mehr behandelt. Eine ähnliche dualistische Problematik ergab sich im Zusammenhang mit den hier bereits angesprochenen Höchstpreisen für Nahrungsmittel, siehe MR. v. 28. 11. 1914/II.
    7Auf Vortrag Stürgkhs v. 11. 8. 1914 wurde der Orden mit Ah. E.Allerhöchste Entschließung v. 15. 8. 1914 verliehen, Kab. Kanzlei, KZ. 2030/1914.
    8Josef Winter wurde über Vortrag Georgis v. 13. 8. 1914 mit Ah. E.Allerhöchste Entschließung v. 17. 8. 1914 in den Adelsstand erhoben. Mit demselben Vortrag wurde auch die Ordensverleihung an Rudolf Kraus erbeten, der Franz Joseph ebenfalls mit Ah. E.Allerhöchste Entschließung v. 17. 8. 1914 zustimmte, MKSM., 2–1/5/1914. Zur Person von Kraus siehe Öbl. 4: 233 f. Zu Kraus und Winter sowie der Kriegsseuchenbekämpfung während des Ersten Weltkriegs allgemein und zu den oben erwähnten mobilen Laboratorien Mentzel, Kriegsseuchen im Ersten Weltkrieg: Teil 1. (Zugriff 4. 8. 2021).

    How to cite

    Die Ministerratsprotokolle 1848–1918 (statisch), herausgegeben von Hanna und Ronja, LaLe 2025 (https://acdh-tool-gallery.github.io/mrp-static/MRP-3-0-08-1-19140810-P-0011.html)