Nr. 20 Ministerrat (23. Juli 1914–22. November 1916)

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Nr. 20Ministerrat, Wien, 26. September 1914

RS.Reinschrift; P. Ehrhart; VS.Vorsitz Stürgkh; BdE.Bestätigung der Einsicht und anw.anwesend (Stürgkh 26. 9.), Georgi, Hochenburger, Heinold, Forster, Hussarek, Trnka, Schuster, Zenker, Engel; BdE.Bestätigung der Einsicht und abw.abwesend Morawski.

  • I. Erwirkung einer kaiserlichen Verordnung über die Stundung privatrechtlicher Geldforderungen.
  • II. Einleitung von Maßnahmen gegen die Steigerung der Getreidepreise.
  • III. Erwirkung des Verdienststernes für Verdienste um das Rote Kreuz für den Gutsbesitzer Ludwig Wittgenstein in Wien.
  • 7549 Protokoll des zu Wien am 26. September 1914 abgehaltenen Ministerrates unter dem Vorsitze Sr. Exzellenz des Herrn Ministerpräsidenten Grafen Stürgkh.
    I. Erwirkung einer kaiserlichen Verordnung über die Stundung privatrechtlicher Geldforderungen

    I. KreditwesenStundung Der Justizminister erbittet die Zustimmung des Ministerrates zur Erwirkung einer kaiserlichen Verordnung über die Stundung privatrechtlicher Geldforderungen3.

    Die Stundung, welche den vor dem 1. August 1914 entstandenen privatrechtlichen Geldforderungen mit der kaiserlichen Verordnung vom 31. Juli 1914, RGBl. Nr. 193, ursprünglich für 14 Tage gewährt und mit der kaiserlichen Verordnung vom 13. August 1914, RGBl. Nr. 216, auf 61 Tage verlängert worden sei, erreiche mit Ende September für die am 31. Juli 1914 bereits fällig gewesenen Forderungen ihr Ende. Da die für diese Anordnungen maßgebenden Verhältnisse dermalen, wenngleich in vermindertem Maße, fortbestehen, erscheine es geboten, eine weitere Stundung vorzusehen. Diese solle sich aber nicht mehr auf die ganze Forderung erstrecken, sondern es solle ein Viertel der Forderung, mindestens aber 100 K, samt den Zinsen der ganzen Forderung und allfälligen Nebengebühren von der Stundung ausgenommen werden. Nur ein solcher stufenweiser Abbau der aus der Zeit vor dem 1. August 1914 stammenden Verbindlichkeiten lasse eine allmähliche Rückkehr zu geordneten Verhältnissen erwarten und werde demgemäß auch von den wirtschaftlichen Körperschaften in ihrer überwiegenden Mehrheit befürwortet. Es sei anzunehmen, dass die Schuldner in der Lage sein werden, den Zahlungsverbindlichkeiten, die sich hieraus ergeben, zu entsprechen. Die Zahlungsfähigkeit derjenigen, die über feste Bezüge verfügen, habe sich nicht vermindert; gewisse Kreise, namentlich Landwirte, ferner Händler und Erzeuger von Gegenständen des täglichen oder des Kriegsbedarfes hätten geradezu eine Erhöhung ihrer Einkünfte erfahren. Aber auch Personen, deren wirtschaftliche Lage durch den Krieg eine Verschlechterung erfahren habe, dürften nunmehr wenigstens Teilleistungen vornehmen können, da die zweimonatliche Stundung die Möglichkeit der Sammlung und Vorbereitung bot. Für diejenigen Schuldner endlich, die außerstande seien, eine 25%ige Abschlagszahlung zu leisten, gewähre die im Entwurfe vorgesehene, noch näher zu erörternde richterliche Stundung Schutz gegen unbillige Härten. Die Bestimmungen über die von der Stundung gänzlich ausgenommenen Forderungen seien im Wesentlichen unverändert übernommen, dabei aber einige weitere Ausnahmen von der Stundungsanordnung vorgesehen. Eine Erhöhung sollen die Beträge erfahren, welche die Versicherungsgesellschaften auszuzahlen haben. Die Pflicht der Banken, Sparkassen und sonstigen Kreditstellen zur Leistung von Rückzahlungen aus Einlagen werde entsprechend den reichlicheren Zuflüssen erweitert, die ihnen durch die teilweise Aufhebung der Stundung zugeführt werden. Besonders hervorzuheben seien die Bestimmungen über die richterliche Stundung, die für jene Fälle Vorsorge treffen solle, in denen der Schuldner außerstande ist, von der gesetzlichen Stundung ausgenommene Teilzahlungen zu leisten. Dem Richter werde nämlich die Befugnis eingeräumt, während des gerichtlichen Verfahrens oder auch ohne solches, wenn der Schuldner darauf anträgt, Stundung bis zur Dauer der gesetzlichen Stundungsfrist zu gewähren, wenn die wirtschaftlichen Verhältnisse des Schuldners es rechtfertigen und der Gläubiger dadurch keinen unverhältnismäßigen Nachteil erleidet. Auch noch im Zuge des Exekutionsverfahrens solle der Richter die missliche Lage des Schuldners berücksichtigen dürfen. Für Gebiete, die zum unmittelbaren Kriegsschauplatz geworden sind, sei eine weitere Maßnahme zugunsten des Gläubigers in Aussicht genommen. Nach einer zu einzelnen Paragrafen des Entwurfes geführten Diskussion, wird der anverwahrte Entwurf4 mit nachfolgenden Änderungen einhellig angenommen: Im § 1 entfällt der Absatz 4; der bisherige Absatz 5 erhält die Bezeichnung 4; im § 2 Ziffer 5 P. a entfällt das Wort „mündelsicheren“; im § 4 Absatz 2 sind die Zahlen 1, 2 und 3 der größeren Deutlichkeit halber durch römische Ziffern zu ersetzen, was dann folgerichtig auch im Absatze 3 zu geschehen hat; im § 19 ist zwischen die Worte „kann das“ und „Gericht“ das Wort „angerufene“ einzuschalten.

    Der Justizminister erhält sohin die erbetene Ermächtigung und wird weiters ermächtigt, die Frage zu prüfen, ob die Fassung der Zahl 9 des § 2 eine Modifikation bei Zahl 5 Punkt a erforderlich erscheinen lasse5.

    II. Einleitung von Maßnahmen gegen die Steigerung der Getreidepreise

    II. WirtschaftsregulierungNahrungsmittel Der Ackerbauminister teilt mit, dass die Getreidepreise eine sehr auffallende Steigerung erkennen lassen, die keineswegs durch die Beschränktheit des zur Verfügung stehenden Quantums allein zu erklären, sondern vielfach der ungesunden Spekulation auf diesem Gebiete zuzuschreiben sei6. Er erachte im Einvernehmen mit den beteiligten Ressortministerien die Einleitung wirksamer Maßregeln gegen derartige die Volkswirtschaft und damit auch die sichere Erreichung des Kriegszweckes gefährdende Maßnahmen für unbedingt geboten. Es würden daher geeignete Verhandlungen der Zentralstellen, selbstverständlich in genauester Fühlungnahme mit der Kriegsverwaltung, eingeleitet werden, aufgrund welcher dem Ministerrate seinerzeit konkrete Anträge zugehen werden. Der Ministerrat nimmt diese vorläufigen Mitteilungen zur Kenntnis7.

    III. Erwirkung des Verdienststernes für Verdienste um das Rote Kreuz für den Gutsbesitzer Ludwig Wittgenstein in Wien

    III. Auszeichnungen Der Ministerpräsident teilt mit, dass der Protektor-Stellvertreter des Roten Kreuzes in der österreichisch-ungarischen Monarchie die Erwirkung des Verdienststernes für Verdienste um das Rote Kreuz für den Gutsbesitzer Ludwig Wittgenstein in Wien beabsichtige und zur Erstattung eines au. Vortrages in diesem Sinne die Zustimmung der Regierung erbeten habe. Hervorzuheben sei, dass Wittgenstein für die Zwecke des Roten Kreuzes eine Spende von 150.000 K angewiesen habe und dass er nach dem Gutachten des Statthalters der infrage kommenden Auszeichnung würdig erscheine. Der Ministerpräsident nimmt in Aussicht, die erbetene Zustimmung zu erteilen.

    Der Ministerrat nimmt diese Mitteilung genehmigend zur Kenntnis8.

    Wien, am 26. September 1914. Stürgkh. Ah. E.Allerhöchste Entschließung Ich habe den Inhalt dieses Protokolles zur Kenntnis genommen. Wien, am 18. Dezember 1914. Franz Joseph.

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    2978-3-7001-9298-5
    3Fortsetzung des MR. v. 5. 9. 1914.
    4Der Entwurf liegt dem Originalprotokoll bei.
    5Auf Vortrag Hochenburgers v. 27. 9. 1914 wurde die Verordnung mit Ah. E.Allerhöchste Entschließung am selben Tag erlassen, Kab. Kanzlei, KZ. 2254/1914, publiziert als kaiserliche Verordnung v. 27. 9. 1914, Nr. 261/1914. Fortsetzung des Gegenstandes im MR. v. 12. 10. 1914.
    6Am 24. 8. 1914 hatte das niederösterreichische Landeskomitee der Statthalterei Wien seine Vermutung mitgeteilt, hinter den Preissteigerungen steckten Getreidezurückhaltungen grösseren Stiles, IM., Präs., Karton 1580, Zl. 11006/1914.
    7Nachdem laut Schreiben Heinolds an Stürgkh v. 10. 10. 1914 die am 16. 8. 1914 unter dem Vorsitz des Handelsministeriums begonnenen Verhandlungen zur Einführung von Maximaltarifen ins Stocken geraten waren, berieten Vertreter des Handels- und des Außenministeriums am 13. 10. 1914 die Frage der Maximalpreise neuerlich eingehend, Aktenvermerk Stürgkhs v. 15. 10. 1914, Ministerratspräsidium Zl. 5539/1914. Fortsetzung im MR. v. 21. und 22. 10. 1914/I, dann im MR. v. 28. 11. 1914/II.
    8Zu Ludwig Wittgenstein siehe , Wittgensteins frühe Jahre. Der Protektorstellvertreter hat zu dieser Verleihung Erkundigungen bei den zuständigen Stellen, u. a. der Wiener Polizei, eingeholt, AckM., Karton 524, Zl. 3075/1914. Die Statthalterei hatte keine Einwände, doch laut Notiz im Akt des Ministerratspräsidiums ist dazu am 10. 11. 1914 vermerkt von der Erstattung des bzgln. Vortrages [wurde] abgesehen und wird Ludwig Wittgenstein demnächst nebst mehreren anderen Persönlichkeiten für die Verleihung des Ehrenzeichens I. Klasse vorgeschlagen werden, Ministerratspräsidium 4954/1914. Auf Vortrag Franz Salvators v. 9. 12. 1914 wurde Ludwig Wittgenstein das Ehrenzeichen mit Ah. E.Allerhöchste Entschließung v. 8. 1. 1915 verliehen, da er mit 150.000 K die größte Geldsumme an das Rote Kreuz gespendet hatte. Mit derselben Ah. E.Allerhöchste Entschließung wurden ausgezeichnet: Anton Dreher (50.000 K), Max Gutmann (10.000 K), Louis Rothschild (100.000 K), Alfons Thorsch (50.000 K), sowie Kurt und Leopoldine Wittgenstein (je 50.000 K). Obwohl Ludwig Wittgenstein den größten Betrag zahlte, wurde er als letzter genannt, MKSM. 84–5/1–2/1915. Zu den genannten Personen siehe Sandgruber, Traumzeit für Millionäre, 76, 330, 24, 353, 215 f., 452 f., 465.

    How to cite

    Die Ministerratsprotokolle 1848–1918 (statisch), herausgegeben von Hanna und Ronja, LaLe 2025 (https://acdh-tool-gallery.github.io/mrp-static/MRP-3-0-08-1-19140926-P-0020.html)