Nr. 91 Ministerrat (23. Juli 1914–22. November 1916)

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Nr. 91Ministerrat, Wien, 6. März 1916

RS.Reinschrift fehlt; Ministerratsvortrag zu Tagesordnungspunkt II; Wortlaut der Ah. Entschließung:

Kabinettskanzlei, Protokoll 1916.

P. Ehrhart; VS.Vorsitz Stürgkh; anw.anwesend Hohenlohe-Schillingsfürst, Georgi, Hochenburger, Forster, Hussarek, Trnka, Zenker, Morawski, Leth, Spitzmüller.

  • I. Erwirkung einer kaiserlichen Verordnung über die Regelung der Grundbesitzverhältnisse in der Umgebung befestigter Plätze.
  • II. Zulassung eines beschränkten Börseverkehrs.
  • 1210

    [I. fehlt.]

    Zu II. Zulassung eines beschränkten Börseverkehrs

    Zu II. FinanzwesenBörse, Wiener Quelle: Ministerratsvortrag Finanzminister in

    FM., Präs. Bd. a.Nr. 66 (Vorträge des Herrn Finanzministers im Ministerrat 1916)3.

    Das Präsidium der Wiener Börsenkammer, welches sich bereits seit Herbst 1915 mit dem Plane der Wiederaufnahme des beschränkten Börseverkehres befasst4, hat im Dezember 1915 ein Promemoria vorgelegt, in welchem es die Beschränkungen ausführte, unter welchen ein Effektenverkehr an der Wiener Börse einzuführen wäre5. Der Finanzminister hat seine Zustimmung von der Erfüllung besonderer Kautelen abhängig gemacht. Diesbezügliche Maßregeln würden im Schoße des von der Wiener Börsekammer eingesetzten sogenannten „Zwölferkomitees“ in eingehender Weise beraten. Während im Anfang für die Regelung des Effektenmarktes nur das Losungswort „auf Berliner Art“6 gegeben wurde, hat sich in den maßgebenden Börsekreisen bald die Tendenz nach einer offiziellen, wenn auch beschränkten Wiedereröffnung des Effektenverkehres geltend gemacht. Unter diesem Einflusse wurden auch die im „Zwölferkomitee“ und sodann in dem für staatliche Kreditoperationen eingesetzten Konsortialausschuss gepflogenen langwierigen Verhandlungen geführt. Um eine Klärung in die ganze Frage der Wiederaufnahme des Börseverkehres zu bringen, hat der Finanzminister mit den in Betracht kommenden Börse- und Bankfaktoren Besprechungen abgehalten. Hiebei wurde seitens des Finanzministeriums eine offizielle Wiedereröffnung des Börsenverkehres vom Standpunkte des Renten- und Kriegsanleihemarktes abgelehnt und nur die Zulassung eines Privatverkehres an der Wiener Börse unter gewissen Beschränkungen für möglich erklärt, dies umso mehr, als ein gleicher Modus in Berlin beobachtet wird und auch dort an eine offizielle Wiedereröffnung des Börseverkehres für absehbare Zeit nicht gedacht wird. Eine gleiche Haltung nimmt in dieser prinzipiellen Frage auch der ungarische Finanzminister bezüglich der Budapester Börse ein7.

    Die Verhandlungen sind nunmehr abgeschlossen und ist beabsichtigt, demnächst den privaten Geschäftsverkehr im Effektensaale der Wiener Börse unter Beschränkungen zuzulassen, welche Kautelen gegen eine ungesunde Spekulation und gegen eine den Interessen des Staates zuwiderlaufende Kursgestaltung der Staatspapiere schaffen. Als solche Kautelen wurden von der Finanzverwaltung insbesondere vorgeschrieben:

    1.) die Festsetzung der Geschäftsstunden auf die Zeit von ½ 12–1 Uhr;

    2.) die Beschränkung des Verkehres auf Kassageschäfte mit Ausschluss jedes Terminhandels und das Verbot des lauten Anbietens;

    3.) die Untersagung des Handels mit Pfandbriefen;

    4.) die Vorschrift, dass Geschäfte in Staatsrenten und Kriegsanleihen nur durch Vermittlung eines beeideten Effektensensales abgeschlossen werden dürfen. Hiebei darf die Festsetzung des Kurses nicht willkürlich, sondern nur nach den Weisungen eines vom Konsortium für staatliche Kreditoperationen gewählten Komitees erfolgen. Sogenannte „Bestensordres“8 für Verkäufe, welche im früheren Börseverkehre auf den Kurs häufig drückend wirkten, sind untersagt;

    5.) weitgehende Maßnahmen gegen das Einströmen von Effekten aus dem Auslande;

    6.) eine amtliche Notierung der vorgefallenen Preise findet nicht statt, zahlenmäßige Angaben über dieselben dürfen weder in öffentlichen Verlautbarungen noch in Mitteilungen, welche für einen größeren Kreis von Personen bestimmt sind, gemacht werden. Es ist beabsichtigt, dieses letztere Verbot mittels einer auf der kaiserlichen Verordnung vom 10. Oktober 1914, RGBl. Nr. 274, basierenden Ministerialverordnung allgemein – nicht nur für Börsebesucher – zu erlassen.

    Diese Vorkehrungen bieten weitgehende Sicherheit für eine klaglose Abwicklung des Effektenverkehres. Sollten trotzdem wider Erwarten Übertreibungen in der Spekulation wahrgenommen werden, so wird die Finanzverwaltung nicht zögern, dagegen aufzutreten. Der Finanzminister hat nicht unterlassen, die Börseverwaltung und die Interessentenkreise hierauf und auf die sie treffende Verantwortung aufmerksam zu machen9.

    Ah. E.Allerhöchste Entschließung Ich habe den Inhalt dieses Protokolles zur Kenntnis genommen. [Franz Joseph.] Wien, 27. April 1916.

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    2978-3-7001-9298-5
    3Erwähnter Akt: FM., allg., Zl. 88662/1915, 1294 und 12473, beide ex 1916.
    4Die Wiener Börse hatte am 27. 7. 1914 den Verkehr eingestellt, (A.) v. 27. 7. 1914. Die Schließung sollte drei Tage dauern, wurde dann aber immer wieder verlängert, 384 f. sowie weitere Einträge in diesem wie den folgenden Jahren.
    5Die Bedingungen, unter denen die Börse dann wieder geöffnet werden sollte, waren: Es wurde täglich von ½ 12 bis 13 Uhr ein Privatverkehr in Effekten und im Eskompte zugelassen, wobei nur Kassageschäfte getätigt werden durften und lautes Ausbieten von Werten verboten war … Untersagung des Terminhandels … Pfandbriefe durften … überhaupt nicht gehandelt, Geschäfte in Staatsrenten und Kriegsanleihe nur durch beeidete Sensale getätigt werden. Weiters wurde … der Ankauf oder die Belehnung der aus dem Ausland einlangenden Wertpapiere untersagt…, , Die Geschichte der Wiener Börse, 111. Siehe Anm. 6.
    6Gemeint sein dürfte das Gegenteil von „Wiener Art“, also rigoros, ohne Ausnahmen. Die Berliner Börse hatte am 30. 7. 1914 den Terminhandel eingestellt, v. 30. 7. 1914.
    7, A magyar Allam Pénzügyei a háború alatt, 353.
    8Ein Börsenverkaufsauftrag, der zum höchstmöglichen Kurs ausgeführt werden soll.
    9Mit Verordnung des Finanzministeriums im Einvernehmen mit Handels-, Innen- und Justizministerium v. 28. 12. 1916 durfte der Finanzminister anordnen, dass die Wiener Börsekammer für die Feststellung der Preise von Wertpapieren zuständig sein solle (§ 1, Abs. 1) und er konnte anordnen, dass die Preise zu verlautbaren sind und in welcher Weise dies zu geschehen hat (§ 1, Abs. 3). Er konnte also auch entscheiden, die Preise nicht zu verlautbaren, Nr. 431/1916. Die 1914 geschlossene Börse wurde am 14. März 1916 unter bestimmten, in Anm. 2 genannten Bedingungen für den Privatverkehr wieder geöffnet, , Die Geschichte der Wiener Börse, 111. Die Verlautbarung der Wiener Börsekammer v. 1., 4., 9. und 10. 3. 1916, 89 f. Siehe dazu auch folgende Artikel in Die Frage der Wiedereröffnung der Börse; Die Wiedereröffnung der Börse (1915); Die Wiedereröffnung der Börse (1916).

    How to cite

    Die Ministerratsprotokolle 1848–1918 (statisch), herausgegeben von Hanna und Ronja, LaLe 2025 (https://acdh-tool-gallery.github.io/mrp-static/MRP-3-0-08-1-19160306-P-0091.html)