Von Jean Paul an Emanuel. Weimar, 11. August 1799.

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Brieftext

Weimar d. 11. Aug. 99.

Mein lieber Emanuel! Ich würde Ihnen jezt viele Vorwürfe (über
Ihr Schweigen) schreiben, hätt’ ich keine — Bitten zu schreiben; und
zwar die wichtigsten, da sie nicht für mich geschehen, sondern für meinen
Geliebten, Herder; auch für Ihren.

Der Herzog erhielt ihn nur hier unter dem Versprechen der Vorsorge
für seine Kinder. Ein Sohn, Adelbert, studierte Oekonomie im Holstein
schen — und dan im Preussischen. (Ich erzähl alles nur kurz) Darauf
kam er auf ein herzogliches Gut in Oberweimar; wo er einem Schleicher
und Tropfen, dem Oekonomen des dasigen Viehstandes, subordiniert
war, indes er als 2ter Oekonom alles Andere und Weitläuftige zu
regieren hatte. Schon dieses Leben unter einer rohen Unterordnung
und die Einschränkung seiner Talente und die Verkennung derselben —
da der Schleicher erschlich — quälte einen Abkömling so zarter Eltern
und diese am meisten. Jezt — vergeben Sie mir die Sprünge! — sol
er (das wil der Herzog, um vielleicht seiner Zusage der Unterstüzung
leichter los zu werden) die junge Pächterswitwe heirathen, die leicht
sinnig ist und die ihren Man beerbet hätte, wäre sie schwanger nach
geblieben; was aber ausblieb. Sohn und Eltern verachten die Ver
bindung; der Herzog macht diese zur Bedingung der Zusage und —
Herder nimt den Sohn zurük. Herder schrieb nach Sachsen um Ver
waltersstellen für ihn, die er aber jezt gerade nahe am Ende der
ökonomischen Geschäfte schwerer finden wird. Nun hat er unter den
Hofnungen auf die sächsischen Antworten noch eine andere Hofnung
nöthig, die auf Ihre Antwort bauet. Den Sohn ins Haus zu nehmen,
säh einer Absezung gleich — da der Herzog nie die wahre Ursache
errathen lassen würde — und überhaupt, mein Emanuel, die Bitte ist
diese: können Sie ihn nicht auf einige Monate (bis er in Sachsen an
gestellet ist als Oekonomieverwalter, oder was noch besser wäre, im
Bayreuth[ischen] und durch Sie) nach Bayreuth oder 〈und〉 zu sich
nehmen und ihn als Geselschafter und Schüler Ihrer Güter-Zer
schlagungen erwählen? Der Rest gäbe sich; er ist hungrig und durstig
auch nach diesem ökonomischen Zweige. Ach ich nahm heute von den
Eltern, die so viel Vertrauen auf, und so viel herzliche Liebe für Sie
haben, einen scharfen Höllenstein vom nakten Herzen weg, da ich
ihnen in Ihre menschenfreundliche Seele hinein die günstige Aufnahme
der Bitte vereidete. Sie konten noch mit keiner Handlung 4 Menschen
(mich eingerechnet) auf einmal schöner beglücken als mit dieser. Der
metallene Thron ruht wie immer auf rothen Herzen und hier liegt ge
rade das gros schlagende meines Herders unter den scharfen Zacken. Ach
mein Emanuel! wenn Sie es thäten! d. h. wenn Sie es könten! —

Schreiben Sie, da ich vielleicht bald in Hof bin, den Brief an
Herder und den an mich abgesondert und ohne Einschlus.

Ich bin von dieser Sache zu vol, um von einer andern zu reden. Das
nasse bewegte Auge solcher Eltern macht meines dunkel. — Ich sehe
Sie nun bald wieder. Schreiben Sie bald an Herder. Und mög’ ich
glüklich gewesen sein! Adieu mein Emanuel!

Richter

Textgrundlage

Jean Pauls Sämtliche Werke, Historisch-kritische Ausgabe. Dritte Abteilung, Band 3. Hrsg. v. Eduard Berend. Berlin: Akademieverlag, 1959.

Kommentar (der gedruckten Ausgabe)

H: SBa. 4 S. 8°. K: Emanuel 11 Aug. J: Denkw. 1,82×. A:IV. Abt., III.2, Nr. 243. Vermerk Emanuels auf H: den 20ten Aug. beantw. an R[ichter]und Herder. 222,33 Geliebten] aus Fr[eund] H 35 studierte] aus lernte H 223,3 Andere und Weitläuftige] nachtr. H Andere] aus andere H 4 Unterordnung] aus Unordnung H 9 die junge] aus eine H 26 auf,] nachtr. H so viel2] nachtr. H 27 weg] nachtr. H 224,1 Sie2] davor bald H

Über den unglücklichen Adelbert Herder orientiert am gründlichstendas Werk von Peter von Gebhardt und Hans Schauer: J. G. Herder,seine Vorfahren und seine Nachkommen, Leipzig 1930, 1. Teil, S. 124—130.— Emanuel erklärte sich in A bereit, Adelbert bei sich aufzunehmen.

How to cite

Jean Paul - Sämtliche Briefe (statisch), herausgegeben von Hanna und Ronja, LaLe 2025 (https://acdh-tool-gallery.github.io/jean-paul-briefe-static/III_302.html)