Von Jean Paul an Josephine von Sydow. Weimar, 26. September 1799.
Brieftext
Theuere! So oft ich nach Berlin schreibe, schliess’ ich
einige
Worte für Sie ein, so unbedeutend sie auch sind. Ihr
lezter Brief
wirkte auf mich wie alle Ihre; nämlich wie
die Abend- und Morgen
dämmerung, die
den Menschen weich, vol Sehnsucht und traeu-
mend macht.
Man giebt und findet groessere Liebe, wenn man geliebte und
liebende Wesen an ihrem Wohnort, im Zirkel ihrer Thaten
auf
sucht; an fremden Orten sind die
Freunde fast Fremde. Ah darum
möcht’ ich Sie freilich
lieber in Klein-Rambin sehen als in Berlin.
Vielleicht geschieht es; aber niemand weis wenn; so weis ich
auch
nicht wenn — sondern
nur daß — ich Sie in Berlin an mein Herz
drücke.
Ich war wieder auf Chausséen. — Nur ein Titular-Legations
rath bin ich. (Verzeihen Sie diese
Sprünge; ich kan Ihren Brief
nur eilig und kurz beantworten) — Über die Liebe denk’ ich wie
Sie. Früher im zwanzigsten Jahr dacht’ ich nicht
wie Sie; ich
glaubte, die Ehe zerquetsche mit harter Hand
die weichen
Blütenblätter der Liebe, indem sie sie
pflükke; aber jezt glaub’
ich, daß das wechselseitige
Hingeben, das die Ehe fodert, das
gemeinschaftliche Aufopfern für das Kinderglük, das Tragen von
einerlei Leiden, das Streben nach einerlei Zwecken
auch die
heiligste Liebe, die vorher blühte, noch mehr
heilige und die
festeste verewige; selber die Freundschaft
kan nicht so innig
lieben wie die Ehe.
Victor hat allerdings Klotilde an den Brautaltar geführt,
wie
Sie aus dem 1. Theil der Blumenstücke sehen
können.
Da Sie so liebend die kleinen Nebelsterne in meinen Werken
observieren: so bitt’ ich Sie, auch einmal die
Sternschnuppen
darin mir anzuzeigen. Niemand vertraegt und benüzt Tadel
leichter wie ich. —
Die Oekonomie ist die Arzenei einer verwundeten Seele. Ihr
Geschlecht ist — zumal in den hohen Ständen — oft blos
darum
so krank und trübe, weil es nicht genug zu thun
hat. Arbeiten
und oekonomische Ziele, die man erreicht,
stillen das Sehnen
nach den hoehern, die man auf der Erde nicht erreicht.
Alle Portraits, die man von mir gegeben — vom Hesperus an
bis zum neuen Kupferstich, der in Breslau herauskam —
sind
verlaeumderisch unwahr. Ich wurde nie nur zur Haelfte
getroffen,
und immer ist aus meinen Bildnissen meine
Menschenliebe und
Redlichkeit weggelassen. — Theuerste! haben Sie keine
Silhouette
von Sich, damit mein Auge sich doch
an etwas über die geliebte
Abwesende tröste und erfreue! —
Lebe wohl und ruhig, Gute,
Verehrte, die ich nie vergesse, wie ich mich auch ändere gegen
andere!
How to cite
Jean Paul - Sämtliche Briefe (statisch), herausgegeben von Hanna und Ronja, LaLe 2025 (https://acdh-tool-gallery.github.io/jean-paul-briefe-static/III_318.html)