Von Jean Paul an Christian Otto. Hof, 9. Oktober 1795.
Brieftext
Ich wil, Lieber, ohne langes Präfarieren, erstlich gleich von den
Realien reden und dan von den Verbalien. — Wir sind beinahe
über
alles einig, besonders darüber worin du es mit dem
gedrukten Autor
nicht bist, und man wundert sich, wie ein so
entschiedener Scharfsin so
sehr der Berichtigung eines
ähnlichen bedarf.
Deine Gewissenhaftigkeit hätte schon mit einem blossen Stil
schweigen Ehe du darüber
schriebest, hatt’ ich gar nicht nachgedacht; und da du dieUntersuchung volendet und mir ersparet hast: so wars leicht, noch etwas dazu
zusezen. abgefunden werden können, zumal da ich ja selber
das von
der [?]
Neigung aus dem Plato-Jakobi habe und da du mein kleines
welkes Samenkorn zu einer vollen Aehre erzogen hast.
Deine Aus
einandersezung hat mich recht
sehr gefreuet und ich ersehe daraus, daß
ich gar Recht habe. —
Noch ein Wort für den Atheisten soltest du bei
fügen, weils doch unter den
Natur-Juristen einen geben kan. Da das
Formen — d. h. der
Arbeitslohn, — und die Priorität In dieser liegt noch dazu
eine Subrepzion: denn es ist ja nicht die Frage:„wem unter
mehrern Kompetenten“ sondern „warum irgend einem etwas„gehöre als
Eigenthum.“ des Funds —
nur ein anderer Name
für zufälliges Recht des Stärkeren 〈Glük
lichern〉 — keinen Titel zum Besizen giebt; und da der Atheist unsere
Genus-Triebe, gleichsam die Anweisungen und Anwartschaften
auf
die Schöpfung, nicht als solche 〈die leztere〉
anerkennen kan, — da er
nicht so wie ich glauben darf, daß
sogar das Thier, insofern ihm der
Schöpfer einen Hunger
gegeben, ein Recht auf das vorstehende Futter
habe, (ohne alle
Rüksicht auf geistige oder sitliche Entfaltung): so weis
ich
dem armen Gott-losen Narren nicht zu helfen. Seine Gier mus ohne
weiteres sein Recht bleiben, und da das ein Widerspruch in adjecto ist,
so bringt er gar
keines heraus.
Auf der 3ten Seite scheinst du mir den „sitlichen Zwek“ in
doppelter
Bedeutung alternierend zu nehmen: erstlich als
einen anderweitigen
(physischen etc.) Zwek, der nur nicht unsitlich ist; und als einen, der
die
Moral nicht zur Bedingung 〈Einschränkung〉, sondern zum
Zwecke hat. Aber die erstere Bedeutung schiene mir die
richtigere.
Man solte den Gerichtsbezirk des
Gewissens mehr ins Negative sezen:
das Positive kan mit
seinen Abästungen nicht in der algemeinen nega
tiven Formel: „thue, was nur ein algemeines Prinzip für alle
Wesen
etc.“ gegeben und begriffen sein. Ueberhaupt da diese Formel
eben
so gut auf Fälle des Denkens, nicht des Handelns passen
müste; da
ferner diese Formel (die beinahe blos die Vernunft
〈rationem〉 defi
niert) die Gründe ihrer Nothwendigkeit als logischer Saz in
der Ver
nunft hat, die aber doch als
praktischer noch ganz andere (Gr.) bedarf,
— und diese Gründe
sind blos unsere verschiedenen moralischen Triebe
für
verschiedene unbekante Objekte, z. B. Liebe, Wahrheit —: so
könte man eben so gut jede edle Neigung für ein eignes Gewissen an
nehmen, denn das Konstituierende und
Imperative der Vernunft gilt
eben so gut der Logik als der
Praxis. Es erkläre mir einmal ein Kanti
aner aus seinem Imperativ (dic, duc etc.) den Trieb und die Verbind
lichkeit zur Wahrheit, oder er zeige mir
die Gründe der Verwandschaft,
die der moralische Trieb mit dem
zur Wahrheit hat. (Ich drücke mich
allemal gegen dich
nur im Fluge und mit dem Postulieren einer Er
gänzung aus, die ich im Drucke keinem ansinne). Kurz jede
positive
Pflicht (Gerechtigkeit, Menschenliebe,
Wahrhaftigkeit, Ehrliebe,
Keuschheit) quillet aus einer
besondern Seelenkraft. Den Trieb zur
Wahrheit, so edel als
irgend ein moralischer, kanst du mit keiner Mühe
zu
einem moralischen umkleiden: und doch ist er so edel als dieser. Kant
sagt, der Tugendhafte wird sich nicht wünschen, in den Fal
solcher Auf
opferungen z. B. des Kanzler
Morus zu gerathen. Wie passet das?
Da er in diesem Opfer die volle Tugend entfaltet: so must’
ers wün
schen, jeder mus nach jenen
Voraussezungen wünschen, den Tag zu er
leben wo er für eine Wahrheit Haus und Hof einbüssen kan.
Warum
fühlt jeder, daß er die Gelegenheit zu grossen
Thaten, aber nicht zu
grossen Opfern (des Freuden-Triebes)
begehren mus? — — Die
Formel: „ich bin mein Eigenthum“ reicht
nicht aus. Ich mögte sagen,
es giebt ein Eigenthum 1) des Besizes, und eines 2) des Gebrauchs.
1. Jenes besteht blos in dem was ich selber mache oder
erschaffe und
das ich nicht einmal von Gott zum Lehn habe, ich
meine unsere
moralischen Handlungen und so unsere Ideen, insofern wir sie durch
den freien
Willen zu erzeugen meinen. In diesem Sinne passet die obige
Formel; und von ihm leitet sich die sonderbare Idee von
einem
Eigenthum überhaupt ab. 2. Das des Gebrauchs, d. h. das Recht,
alle meine
Triebe unter der Bedingung der Gleichheit zu befriedigen.
Hier ist mehr Gebrauch als Besiz der äussern Dinge; und Eigenthum
ist im ersten Sinne nicht, weil etwas, das ich heute mein
nenne, morgen
durch die Verdoppelung der Prätendenten es
aufhöret zu sein. Ich kan
folglich in keiner Zeit bestimt
angeben, wie viel mir von der Erde ge
höre.
Und hier passet die Formel nicht: von meinem Körper hab ich
nur den Gebrauch und er gehöret zu den Dingen wie die Luft etc.
Frei
lich da hier die Natur schon eine
Gleichheit der Güter gemacht und
jedem schon seinen Körper
verliehen hat: so bin ich dieses Eigenthums
allein sicher; aber
auf seine Kräfte hat in den Fällen des Elends doch
der andere
Anspruch.
Nach deinen und meinen Begriffen giebt es daher nur ein Zu
eignungs- kein Eigenthumsrecht, weil das Stük, das ich heute
habe,
sich mit den Bedürftigen desselben vergrössern und
verkleinern mus.
— Das was ich ausserhalb meines Ichs mit
meinem körperlichen er
schaffe, ist, da
ich keine Materie, sondern Formen der vorhandnen Ma
terie, die allen zugehört, machen kan, nichts als ein Recht
zum
— Arbeitslohn. Dem Scheinbaren was der V. über den
Titel der
Wirkungen sagt, hast du im II allen Schein ganz genommen; aber das
must du doch
einräumen, daß z. B. die Ernte eines von mir besäeten
Feldes,
das ich auf der Insel als der erste Nachkömling unschuldig be
nüzet habe und dessen Hälfte ich einem
zweiten wiedergeben muste, mir
allein zustehe. Diese Ernte ist der Arbeitslohn, aber nicht
für den —
andern .. \nicefrac {2}{II}. Allerdings mus also der Stärkere den Ertrag einer
reichern
Kraft einziehen: für diese Ungleichheit der Kräfte
wie des Glüks — da
der eine ein Feld früher gefunden und
besessen als der dazu kommende
associé — kan nur das Schiksal. Den Verfasser verwunden
deine
Gründe, weil der die Inschrift, die ich in einen
Goldbarren gravieret,
zu einem Lehnbrief 〈Schenkungsbrief〉 auf
den Barren macht; aber
die Inskripzionskosten darf ich mir
doch vom Barren abschaben. —
Auch bewiese die Schwierigkeit,
diese Wirkungen der Kräfte zu
berechnen, doch nichts
gegen das Recht: man müste nur kommen
surable Grössen, meine Wirkungen und fremde mit einander messen. —
\nicefrac {5.6}{II}. Hier must du eine andere Wendung
nehmen: denn der reine
Kräfte-Ertrag für den innern Speicher
bleibt derselbe, ob ich das
äussere Instrument dazu besize
oder nicht, und ich werde ein ausser
ordentlicher Virtuos, ob ich meine Finger auf fremden Flügeln übe
oder auf eignen....
Übrigens hab ich nichts zu wiederholen als das alte Lob der neuen
Wahrheiten darin, deren Erscheinung du, da jezt so viele dieses
Berg
werk durchgraben, nicht so lange
verschieben darfst. — Auch über den
Styl merk ich nichts an als
seine helle lichte Kürze und — zuweilen
etwas Nebenschöslinge.
Ich meine so: aus unnüzer Furcht, dunkel zu
bleiben,
wendest du deinen Saz in mehreren kleinen Säzen auf ver
schiedenen Seiten vor. Diese Explanazion vermeidest du, wenn
du wie
ich unter dem Schreiben ein Blätgen neben dich legst und
die einzelnen
Dunst Theile, mit denen sich almählig eine
Wahrheit in die Seele
niedersenkt, dort aufnimst und dan sie in
Einen hellen Tropfen zu
sammendrükst. Durch Parenthesen hab ichs im Mspt. angezeigt; es ist
nicht oft, und in deinen Briefen fast gar nicht; und in den
neuen Zu
säzen auch nicht.
Für deinen lezten Brief sag ich dir vielen Dank; da mir deine Litte
raturbriefe schon mit dem schönfarbigen
Monatsschriften-Umschlag
ihrer Wahrheiten so viele
eigennüzige und uneigennüzige Freude
machen. Jedes Wort ist
darin wahr und berechtigt dich zu immer
grösserer Strenge
gegen Kunstwerke: nur die Anwendung deiner Säze
auf mich
braucht eine kleine Änderung. Alle meine Fehler in meiner
ganzen Schriftstellerei kamen nie vom Überflus der Kraft, sondern von
falschen kritischen Grundsäzen her. Hätt’ ich eiliger, mit
weniger An
spannung und ohne die Manie
geschrieben, alles im Reposit[orium]
oder Kopf liegende fertige in jede Materie einschichten zu
wollen: so
hätt’ ich längst so geschrieben als in den 3
Manipeln, die ihren Werth
dem Umstand verdanken, daß ich
eilte, wie ein fliehender Spizbube und
daß ich also
keine rechte Zeit zum Einrammen der Steinbrüche um mich
gewinnen konte. Der „Referierton“ im Hesperus kömt von der Angst,
er werde zu dik: weiter nichts. Auch hast du mir jenen Fehler
ganz klar
gesagt; und ohne deine Erinnerung wär’ er noch
zehnmal grösser
stehen geblieben. Aber wie sol einmal bei
einer 2ten Auflage meiner
opera — buffa alles geändert und herumgeworfen werden! Die
Leute
sollen wie der aufwachende Epimenides sich in den
Gassen darin gar
nicht mehr finden können. Wenn ich oft die übermässige
Ineinander
bauung oder das dicke
Kolorit im Hesperus — so daß ich oft das Ge
wöhnliche „z. B. er kam, er sezte sich
nieder“ in der Geschichte weglies,
weils kein Zierrath
war — vergleiche mit meinen jezigen Kupferstichen:
so denk
ich, ich habe (nicht an mir) keine Farbe mehr. — „Über das
Einhängen einer chronologischen Skala“ hast du mir etwas sehr Nüz
liches gesagt. Ich wolte gerade einige
Manipel in Form eines datierten
Tagebuches geben. Es ist bei
einem Verfasser natürlich: er sieht, da er
keinen Totaleindruk
bekömt, die klaffenden Lücken der Zeit in seiner
Geschichte,
besonders einer häuslichen. Um nun die Einheit der Zeit zu
beobachten, merkt er geschikt das Vorübergehen dieser Zeit an und
sagt „es passierte nichts darin“ anstat daß er nur Zusammenhang
und
Kette in die leidenschaftlichen Begebenheiten — die
einzige poetische
Einheit der Zeit — bringen solte. Das
Vermeiden dieser Lücken ver
bärge die
chronologischen. Denn am Ende macht man den Leser nur
fragsüchtiger: geh ich von Woche zu Woche: so wird er von Tag zu
Tag gehen wollen; und thu’ ichs auch: so wird er wissen
wollen, was
der Held im Bette vornahm.
— Leb recht wol, Guter, und habe noch einmal Dank für alles.
How to cite
Jean Paul - Sämtliche Briefe (statisch), herausgegeben von Hanna und Ronja, LaLe 2025 (https://acdh-tool-gallery.github.io/jean-paul-briefe-static/II_176.html)