Von Jean Paul an Carl August Matzdorff. Hof, 31. Dezember 1795.
Brieftext
Sie haben mir nicht blos eine schimmernde Stunde aus der Kindheit
wiedergegeben, wo der geschmükte Baum ein Lusthain und der
bedekte
Tisch ein Lustlager ist, sondern auch das schöne
dankbare Gefühl der
Freude über den Werth eines fremden
Herzens. Aber warum ersezten
Sie nicht mit Ihrem blossen Bild
die 2 andern Geschenke? Eines war
genug, um mich auf jene
süsse Weise zu berauschen, worin man es dem
Schiksal abbittet,
daß man trüb gewesen. — in einer nas kalten Nebel
wolke — denn bei mir ist Trübsin wie bei Abergläubigen
schlimme
Träume gerade die Ahndung meines Glüks: die
helsten Tage des
Menschen bedeuten trübe Nächte und diese
jene. Wie zög’ eine freund
liche Hand den
Nebel weg, der vor meiner Freude [?] und
meines
Freundes Bild lag. Ach meine ganze Umarmung besteht
nur in einem
Brief. Sie haben eine schöne Stunde mitgeschikt.
Ihre freundschaft
liche Seele steht
so unverhült vor mir und ich habe sie schon so oft
sprechen
hören, daß sie diese Pantomime gar nicht nöthig hatte.
Wenn
ich die kleinste Schleusse aufziehe, so schiesset soviel
Wasser zu, daß alzeit
mehr Räder in Gang kommen und also mehr
gemal[en] wird als
[ich]
wolte — Das körperliche Uhrgehäuse zerspringt, — so viel daß
ich sterbe,
ohne mein halbes Ich aus- oder
abgeschrieben zu haben — Der lezte
Tag hat in seine Wellen,
eh’ er gar hinab sinkt, Ihr Bild
[geworfen?]
und ich werfe meine Wünsche wie Blumen in unsre
hinströmenden
Stunden. Mir ist als reicht’ ich Ihnen neben
der Kluft, die die 2 nahen
Jahre absondert, die Hand vom alten
hinüber ins neue und sagte: „so
„vereinigt wollen wir
beisammen bleiben mitten in den Wogen einer
„lauten aber
kurzen Zeit — Sie wünschen mir nichts und ich Ihnen
„nichts —
denn unser Geschik liegt in unsrer Brust und die Ruhe
„kömt
nicht von aussen hinein sondern von innen heraus und dem
„elenden Wechsel zwischen fliehendem Schmerz und fliehender Freude
„entzieht uns nur der innere Thron, der uns erhebt und uns die
2te
„Welt hinter der Wüste der ersten zeigt. Und so an jedem
Ende eines
„alten Jahres wollen wir wiederholen: wir bleiben
vereinigt.“ —
D[as]
Gemälde für schwächere Augen umfärben — illuminierte,
getuschte
Ausgabe.
How to cite
Jean Paul - Sämtliche Briefe (statisch), herausgegeben von Hanna und Ronja, LaLe 2025 (https://acdh-tool-gallery.github.io/jean-paul-briefe-static/II_212.html)