Von Jean Paul an Johann Georg Jacob von Ahlefeldt. Hof, 1. März 1796.
Brieftext
Zu voller und Guter,
Dein Brief gab mir die Palingenesie unserer ersten Stunde und
jene heissen Stiche, die ich allemal bei grosser Freude in der Gegend
des Herzens fühle. Warum hast du mir die Stunde nicht eher
gegeben
und auf mich gewartet, indes ich auf dich wartete.
Aber du liebst
deinen neuen Bruder zu sehr. Ich habe noch
nichts für dich gethan und
werde es nie können und ach! es ist
so wenig, was der Mensch dem
andern reichen kan. Deine Gefühle
für mich müssen sich selbst in deinem
Busen belohnen, ehe sie
aus ihm kommen: meiner kan sie nur er
wiedern, nie vergelten. — Hüte dich aber vor deiner
Phantasie, die dir
Gestalten stat Bilder zuschikt und
dem Gewölke stat Abendfarben
Abendschreklarven eindrükt. Sie
mus nur die Farben unsers Himmels,
nicht unsrer Hölle höher
malen, und sich in unsre trüben Tage gar
nicht mischen. Deine
ist aber eine Sonne, in der die helsten Sterne,
der
Merkur und der Morgenstern, wenn sie daran vorübergehen, zu
dunkeln Punkten werden. — Suche etwas, eine Art Arbeit, woran du
ihre Funken entlädst. Für die meinige, die mich eben so wenig
be
glücken würde, ist der Schreibtisch
der Auslader. —
Zu deiner Klotilde hatt’ ich, da ich in Bayreuth war, troz
aller
Sehnsucht nicht — weil ich nicht wuste, ob du mich ihr
schon präsen
tieret hättest — den Muth.
Aber mein erster Flug ist nach Bayreuth —
und mein zweiter zu ihr.
O wenn du und ich einmal in Bayreuth Sie — und ausser Bayreuth
die zwei elysischen Felder und Rosenthäler sehen werden — und
wenn
uns der Frühling mit blühenden Zweigen umfängt, mit
glimmenden
Abendwolken beschattet und mit singenden Gärten
anredet: o dan
werden wir verbunden ins warme Leben wie in
einen Paradieses
Strom einsinken und wir werden nichts mehr
haben zur Sprache
als die Umarmung. —
Man probiert sich jezt neben mir zum heutigen Konzert: die
weichen Töne umgeben meine Gedanken, und ziehen mit harmo
nischen Wogen und Wirbeln hebend um meine Hofnungen. — Und
so sei dein Lebenstag, mein Theuerer, wie ein reiner Ton, der
durch
unsere trübe kalte Luft
durchflattert und darin sich weder besudelt
noch
bricht. Schliesse dich nicht ein! — Habe ein troknes Auge,
ausser für die Freude und für den Dichter nicht! — Schreibe bald, und
so lebe recht, recht wol!
Freund
J. P. Fried. Richter
N. S. Den Grus deiner Klotilde erwieder’ ich mit dem wärmsten,
in dem der Wunsch ist, daß Ihr Leben jährlich 4 Frühlinge
und
365 Pfingsttage habe
How to cite
Jean Paul - Sämtliche Briefe (statisch), herausgegeben von Hanna und Ronja, LaLe 2025 (https://acdh-tool-gallery.github.io/jean-paul-briefe-static/II_252.html)