Von Jean Paul an Charlotte von Kalb. Hof, 9. März 1796.

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Brieftext

Kopie
[ Hof, 9. Mär. 1796 ]

Wenn Ihnen Jean [Paul] mit seinen 300 Blättern soviel Ver
gnügen gegeben als Sie ihm mit Ihren 2 kleinen gaben: so durften Sie
schon so nachsichtig auf beiden kleinen gegen litterarische Blumen
rabatten sein als hätten Sie selber sie besäet und begossen. Ich wünsche,
daß Sie recht viele Personen loben, damit Sie recht viele fröhlich
machen. Ein deutscher Autor hat nur Rezens[enten], keine Rezensen
t[innen], nur Kunst[richter], selten eine Kunstrichterin, er kan daher
wenig hoffen, ein anderes Geschlecht zu interessieren oder zu be
friedigen als seines. Das Ihrige erhält von dem unsrigen so gar
wenig, nicht einmal Bücher d. h. nicht einmal Träume. Und doch
bedarf die weibliche Wirklichkeit das magische Mondlicht der Dicht
kunst so sehr. Es solte ein besserer Autor sich hinsezen und so zu sich
sagen: nun da ich die Weiber so gut kenne — da ihre verschrienen [?]
Masken nur Schleier sind, die ihre innere Schönheit eben so gut
erhöhen als bewachen — da ich besser als 100 andre sehe, daß dem
weiblichen Herzen, das eben so gut dichterisch und idealisch ist als der
Kopf, die Erde wenig mehr zu geben hat als Seufzer und Wünsche —
da ihr Mai des Lebens, anstat daß unsrer so schön ist wie ein gallischer,
so naskalt und bereift ist wie ein deutscher, besonders der heurige — da
sie wie Nachtigallen von lauter Dornen die Wolle holen müssen,
woraus sie sich in einer stach[lichten] Taxushecke ihr Lager bereiten:
was könte ich schöners thun als die Feder nehmen und ihnen — nicht
jämmerliche deutsche Schmeicheleien, die ihnen in Büchern und an alle
gerichtet nie gefallen, sondern — Morgenträume und sanft[ere]
Seufzer geben als ihnen das Leben abzwingt. Und wenn ich nur einer
einzigen über den regn[erischen] Morgen ihres Lebens einen Regen
bogen ziehe — wenn ich nur einem Herzen, für das die Freundinnen
zu unmänlich, Freunde zu unweiblich sind, den schönen so lang
begehrten Engel der Liebe im Wolkenhimmel der Dichtkunst zeige,
nach dem es dürstend unten die Arme ausbreitet und in dessen seine es
der Todesengel hinaufträgt: so hab’ ich genug gelebt und geschrieben.
Unser selbstgesprächiger Autor kan sich damit entschuldigen, daß er
nicht wuste, daß Sie ihm zuhören. Ich habe Mühe meinen Dank ab
zubrechen, da ich nicht weis, ob ich Ihnen frühere Antworten geben
darf als mündliche. Wenn ich die hohe Dreieinigkeit der drei [grössern]
Weisen als je aus dem Orient zogen, hören und sehen werde: so werd’
ich kaum beides mehr können, sondern vor Liebe und Rührung ver
stummen. Wolte der Himmel ich wüste die Tagszeit, wo Sie die
Blumenstücke lesen: ich würde nicht arbeiten, sondern im Freien herum
gehen und nach dem Fürstenthum Weimar sehen und Zeile vor Zeile
nachlesen und halb recht froh, halb recht furchtsam sein. Das Schiksal
ahme, wie die Dichter die Wirklichkeit in ihren Dichtungen ver
schönernd kopieren, umgekehrt in Ihrer jenen nach und verwandle jede
rothe Rose des Lebens, wenn Sie sie weglegen, in die weisse der
Erinnerung, damit, wenn Sie nach vielen Jahren sich umwenden, ein
grosser weisser Rosengarten hinter Ihnen blühe.

Textgrundlage

Jean Pauls Sämtliche Werke, Historisch-kritische Ausgabe. Dritte Abteilung, Band 2. Hrsg. v. Eduard Berend. Berlin: Akademieverlag, 1958.

Kommentar (der gedruckten Ausgabe)

K (nach Nr. 82): Fr. v. Kalb in Weimar. 9 März 96. i 1: Wahrheit5,44. i 2: Denkw. 2,5 (7. März). B: IV. Abt., II, Nr. 74. A: IV. Abt., II, Nr. 81. 164,30 Und bis 32 sehr.] nachtr. 33 verschrienen] vielleicht verschwiegenen 165,8 die bis 9 gefallen] nachtr. 23 sie 28 jede bis 31 blühe.] mit Blei durchstr. 31 ihnen

Charlotte Sophie Juliane von Kalb, geb. Marschalk von Ostheim(Jean Paul nennt sie oft „die Ostheim“), die Freundin Schillers undHölderlins, geb. 25. Juli 1761 (also 2 Jahr vor Jean Paul) in Waltershausen bei Römhild, gest. 12. Mai 1843 in Berlin, war seit 25. Okt. 1783mit dem Major a. D. Heinrich Julius Alexander von Kalb (1752—1806)verheiratet und Mutter von drei Kindern. Über Jean Pauls Briefe an sies. das Vorwort. Von ihren Briefen an ihn fehlt ein wichtiger Teil (Juli1796 bis Nov. 1797), den sie ihm „durch Wortbruch abplauderte“ (J. P. an Otto, 12. März 1801). Die in seinem Nachlaß erhaltenen, oft undatiertenund schwer leserlichen, in denen die Anrede zwischen Sie und Du schwankt,letztere oft durch Striche ersetzt ist, hat Nerrlich 1882 ziemlich vollständig,doch mit manchen unrichtigen Lesungen und Datierungen veröffentlicht.Die älteren, sehr unzuverlässigen Försterschen Drucke im 5. u. 6. Band der„Wahrheit“, (wo der Name Kalb überall durch drei Sternchen ersetzt ist)und im 2. Band der Denkwürdigkeiten sind nur insofern noch von Interesse, als sie einige Briefe enthalten, deren Handschriften Nerrlich nichtmehr vorlagen. — Charlotte hatte in einem von verhaltener Glut erfülltenBrief von der Begeisterung berichtet, die Jean Pauls Werke in Weimar,wie bei ihr, so bei Wieland, Herder, Knebel und andern erregt hätten. 165, 20f. drei Weisen: Wieland, Herder, Goethe; vgl. I. Abt., VII, 71,15–17. 28–31 Vgl. I. Abt., VIII, 167,10–14 (Titan, Schluß des 35. Zykels).

How to cite

Jean Paul - Sämtliche Briefe (statisch), herausgegeben von Hanna und Ronja, LaLe 2025 (https://acdh-tool-gallery.github.io/jean-paul-briefe-static/II_261.html)