Eintrag in ein Stammbuch. Von Jean Paul an Marie Elisabeth Gräfin von Nauendorff. Zedtwitz bei Hof, Ende März 1797.
Brieftext
Im Kelche des Leidens spiegelt sich der künftige Himmel am hellesten.
Der Rosenkranz der Erde entblättert sich zur Dornenkrone, aber
über
dem Grab und über der Erde schlägt die stechende Krone
zu ewigen
Rosen aus. Dieses geflügelte Leben ist nur eine
Erdpartie — unsre
Freuden sind nur Torso’s — unsre Erinnerungen
Ruinen in einem Park
— unsre Liebe ist eine ewige Sehnsucht und
unsre Jugend ein süsser
Seufzer — — Aber ein weiches reines
festes Herz ist der Diamant, der
in die irdische kalte
Dämmerung und in die Nacht des Todes ewige
Stralen
wirft. — Zu meinen vorigen Gedanken und zu meinen jezigen
Wünschen möcht’ ich lieber das ganze Stambuch frei haben als blos
diese Seite oder auch die gegenwärtige. Möge das Schiksal auf
Ihr
ganzes Leben einen magischen Wiederschein werfen und in
nichts einen
Schatten als in den — Mondschein. Mög’ es Ihrem
Herzen immer
Hofnungen und Freuden zugleich, d. h. die
seidnen Rosen der ersten mit
den wahren der lezten geben. Möge
Ihre Seelenruhe so gros sein wie
der Ruhm Ihres Gemahls und
Ihr Leben so schön wie Ihre Seele und
Ihre Gestalt.
How to cite
Jean Paul - Sämtliche Briefe (statisch), herausgegeben von Hanna und Ronja, LaLe 2025 (https://acdh-tool-gallery.github.io/jean-paul-briefe-static/II_573.html)