Von Jean Paul an Christian Otto. Hof, 27. Oktober 97.
Brieftext
Gestern sagt’ ich mir es noch nicht, daß ich dich heute nicht mehr
sehen wil, weil ich deinen Anblik mit einem solchen Gedanken
nicht er
tragen könte. Vergebt mir alle
meine schweigende Flucht, die ich mir
und vielleicht
nicht mir allein schuldig war. Ach der Körper erträgt
weniger
als die Seele. — Hier versüsse dir mit der Dichtkunst — ich
wolte dir das Buch erst an deinem Geburtstag geben — den Ge
danken des Sontags und das
regenbogenfarbige Band sei das Zeichen
des ewigen Bundes wie
das Zeichen der schönern Zukunft.
Hier ist das Geld für die Leinwand. Briefe an mich werden an dich
kommen, brich sie vorher auf wie einem, der im Gefängnis ist.
Sorge
daß mein Nachlas Sontags oder Montags fortkömt. Es
klingt mir
alles wie ein Testament. Mein Abschied war wie
meine Trauer über
meine Mutter, ein Vierteljahr vor ihrer und
meiner Abreise. In Gera
bleib ich einige Tage. Morgen abends geh ich nach
Zedwiz und bleibe
beim Kammerdiener über Nacht und sehe ganz allein die
stummen
Stoppelfelder der eingeernteten und vergangnen
Freuden an.
Eben verlangtest du mich auf Abend. Gott gebe, daß ich mein
Inneres mit Spas ersticke und die Qualen der Phantasie bezähme. —
An Emanuel schreib den Ort meines Aufenthaltes. Nim der
armen
Caroline etwas von ihrer dunkeln Einsamkeit.
Mein leztes Wort an dich ist noch: sei muthig, strebe gegen kränk
liche Phantasien mänlich an und trete wie
ich immer muthiger und
weiter ins thätige Leben hinein, damit deine Kraft noch mehr andern
und dadurch dir nüze. Und so mit
diesem Wunsche, mit diesen Hof
nungen,
mein Unvergeslicher, mein ewig Geliebter, schliesse sich für
mich meine Jugendzeit und wir wollen von einander gehen und schwei
gen. Edler und würdiger ist unser
künftiges Beisammenleben in Briefen
und in den Tagen der
herlichen Wiedererblickung als das bisherige ge
trente und schlaffe. — Wenn der Mensch eine Ewigkeit in
seinem
Herzen tragen kan: so sag ich: du bleibst in meinem
und ewig. Und das
sage auch deiner geliebten Schwester und
deinem geliebten Bruder:
ich wil euch 3 nicht in der Welt suchen, denn ich find euch
nicht.
Und so lasse mich ziehen von deinem Herzen und von meinen Freuden
und von meiner Jugend.
Sonabends um 1 Uhr. Ich habe doch deine von Liebe und Wehmuth
verherlichte Gestalt noch einmal gesehen. Ewigen Dank. Jezt bricht
mir das Herz
How to cite
Jean Paul - Sämtliche Briefe (statisch), herausgegeben von Hanna und Ronja, LaLe 2025 (https://acdh-tool-gallery.github.io/jean-paul-briefe-static/II_735.html)