Von Jean Paul an Johann Wilhelm Vogel. Hof, 24. Oktober 1785.
Brieftext
Was das verrekte Pferd in Rehau anlangt, so wollen wir uns mehr
darüber freuen als grämen, daß es endlich aus diesem
Jammerthale
abgeschieden und von seinen Schmerzen,
seiner Magerheit [!] und
seinem Reiter nun erlöset ist. In der That hab’ ich es nie
ansehen
können, ohne zu bedenken, daß es sein eignes Trauer-
und Klagepferd
ist. Nun erwartet es uns in der Ewigkeit, hat
da weder Hunger noch
Durst und denkt vernünftig genug. Eben so
glüklich als das Pferd ist
der H. Pfarrer selbst, der nun auf keinem Folterpferde — die
Römer
peinigten ihre Sklaven auf einem hölzernen Gaul — und
Stekkenpferd
mehr sizet. — Der Gärtner — um Ihre Vergleichung
fortzusezen —
den Sie wieder in eine neue Plantage geführet
haben, kan im Garten
ganz leicht arbeiten, wo er die Früchte
zugleich geniesset und wartet, ia
wo er wenig mehr thut
als einige stechende Nesseln säen. — Übrigens
gefället mir zwar
Ihre fruchtbare Geschäftigkeit; allein ich hätte doch
gewünschet, daß Sie dem Geseze der Trägheit, nach dem sich alle
Wesen des Universums richten, ein
[wenig] mehr gehorchen möchten
und ich sehe nichts ab, was Ihren Fleis mit einiger Wirkung
ent
schuldigen könte, als etwan
dies, daß Sie kein — Geistlicher sind.
Inzwischen verdien’ ich
für diese Satire auf einen ganzen Stand den
noch einige Prügel. — Nicht die Erfindung sondern die Wahl eines
Titels wird mir sauer: hier lesen Sie aus: englischer Garten —
Mix
turen in der Orgel und Apotheke —
Kompagniehandlung — Pan
theon — Kongres — Reiheschank,
weil bald der Theolog bald der
Jurist zu trinken giebt. Die
Rathswahl überlass’ ich Ihnen et com
pagnie. Eh’ Sie also den Titel festgesezt: kan ich
nicht an die Vorrede
gehen, weil ich in dieser mich auf
iene[n] mus beziehen können. Der
H. Pfarrer, der bei seiner Appellazion an mich nicht bedachte,
daß man
ia nur an eine höhere Instanz
appelliren darf. — Übrigens müssen
Sie ein 8 tägiges
Stilschweigen für kein langes halten. Die 4 Wochen
die ich bei
Ihnen nicht zugebracht sondern genossen habe, gehören mit
zu
den Flitterwochen meines Lebens und kommen mit in meinen
Freuden Gottesakker. Ich habe nämlich wie bekant in meinem
Gedächtnisse einen Gottesakker angelegt, wo ich meine Freuden
ein
grabe, damit mit der Zeit aus ihnen
einige Blumen wachsen. Ich
bin daher alzeit froh, wenn ich ein
Vergnügen habhaft werde: denn
ich kan es dan sofort in meine
Freudenplantage schaffen. So oft ich
nun der peinlichen
Gegenwart den Rükken kehren mus: so begeb’ ich
mich in
die Vergangenheit und besuche meine Freuden. Ein Engländer
würde dieses ein Vergnügen Archiv oder einen Witwensiz der
Freude
nennen wollen; allein ich würde es nicht zulassen.
Leben Sie so physi
kalisch wol als Sie
moralisch wol leben; Ihre Gattin, an die mich oft
mein Gaumen erinnert.
N. S. Ich mus Ihnen hinterbringen, daß es hier weder an grossen
Griechen noch an grossen Lateinern mangelt und es wäre zu
wünschen,
daß dieses auswärts bekanter wäre. Ich habe mit meinen
Ohren die
hiesigen Alumnen, die sich über müssigen
[?] Ohrenkizel weit hinweg
sezen und den Schaden wol kennen, den sie
unausbleiblich mit schönen
Kastra[ten]tönen stiften würden,
griechische und lateinische Arien
singen hören. Glüklich ist die Stadt, die solche Schüler
füttert und
höret: noch glüklicher ist der Kantor, der
sie lehret und volkommen im
Stande ist, lateinisch und
griechisch zu lesen. Leben Sie so gesund (damit
ich Ihnen nach einiger Zeit vorwerfen kan, daß
[Sie] wirklich daran
schuld sind,) daß Ihre Gattin nicht gesund bleibt.
How to cite
Jean Paul - Sämtliche Briefe (statisch), herausgegeben von Hanna und Ronja, LaLe 2025 (https://acdh-tool-gallery.github.io/jean-paul-briefe-static/I_118.html)