Von Jean Paul an August Gottlieb Meißner. Hof, 26. Mai 1789.
Brieftext
Wolgeborner Herr,
Hochzuverehrender Herr Professor,
Wenn Sie mir ein Manuskript geliehen hätten: so würd’ ichs Ihnen
schwerlich wieder geben; ich dürfte Ihnen dieses Depositum
vielleicht
gar vor Gericht abläugnen und Ihre vielen
Requisitorialschreiben aus
Prag würden wenig verfangen. Wäre
Alexander eben so klug wie ich
gewesen und hätt’ er die Manuskripte des Aristoteles ihm
abgelogen
und vorenthalten: so hätt’ ihn nachher der Stagyrit nicht mit
der
Edizion derselben ärgern können.
Der Zwek dieses Briefes ist Sie zu bitten, daß Sie es — nicht so
machen wie ich, sondern wie Alexander. Mein satirisches Mskpt über
die menschliche Tugend nistet zwar bei Ihnen wie in einem
Ägypten,
gegen den bethlehemitischen Kindermord der Rezensenten
geschirmt;
allein ich möcht’ es doch haben.
Zwar wäre mirs aus 2 Gründen recht lieb, wenn Sie mir meinen
Willen nicht thäten. Denn ich hätte dan doch bei Ihnen immer einen
Vorwand liegen, unter welchem ich mir das Vergnügen an Sie zu
schreiben herausnehmen könte. Und zweitens hätt’ ich das
Misver
gnügen nicht, durch die
Erinnerung meiner litterarischen Tölpeliahre
und deren
Mis- und Nachgeburten gedemüthigt zu werden; denn das
Manuskript wird mich gewis dadurch erbossen, daß ich damit nicht nur
das Publikum ergözen wollen sondern auch Sie.
Allein ich habe auf der andern Seite 2 stärkere Gegengründe
warum Sie mir doch zu Willen sein sollen. Ich wil 1) das Mspt mit
meiner zur Ostermesse ausgekrochenen „Auswahl aus den Papieren
des Teufels“Ich hätte Ihnen das
ganze Werkgen geschikt, wenn es nicht 38 Bögen hätte und mithin
nicht eben so viel Porto als Langeweile machte. zusammenhalten, um zu
sehen, ob der offizinelle und
heilende
Tadel, den Sie ienem eingaben, diese
purgirt habe. Der
zweite Gegengrund ist...... ia warlich vor 3
Minuten wust’ ich ihn
noch und er ist mir vor einem Augenblik
aus dem Kopfe.
Vielleicht haben Sie gar das Mspt selber ediret, nach Art der
Alten nämlich; ich meine, vielleicht haben Sie, wie die Alten
ein Mspt
durch Aufrollung um Holz oder Knochen in ein Buch veredelten,
auch
mit meinem etwas umflochten, etwas recht weiches, etwan
die Lokken
haare — allein ich kan das nicht
glauben sondern blos hoffen. Denn
nur Ihre Schriften wurden bisher zur Verschönerung und Bil
dung des Kopfes verwendet und zwar nicht an seiner
äussern sondern
innern Seite, ia sie wurden sogar zur Reinigung des anus — cerebri
(wie die Anatomiker die Gehirnkammern nennen) verbraucht —
eine Ehre, die noch nicht einmal der breite Nikolai errang, der zwar auch
den Dekroteur des anus abgiebt, aber erst solcher, die um 6 Zolle
tiefer
sizen.
Ich bitte Sie um die Verzeihung und Erfüllung meiner Bitte und
ihres Tons; und habe die Ehre, in der Erwartung einer geschriebenen
und einer praktischen Antwort,
mit wahrer und gefühlter Hoch
achtung zu
bleiben
gehorsamster Diener
J. Paullus Fried. Richter
N. S. Den 26 Sept: Unerwartete Umstände liessen dieses Blat so
lang unabgeschikt. Ich habe noch einmal Ursache, Sie um
Nachsicht
für den freien Ton darin anzusprechen — auch
bitt’ ich Sie, diese
Abschikkung nicht durch die
Beantwortung nachzuahmen und heim
zusuchen.
How to cite
Jean Paul - Sämtliche Briefe (statisch), herausgegeben von Hanna und Ronja, LaLe 2025 (https://acdh-tool-gallery.github.io/jean-paul-briefe-static/I_282.html)