Von Jean Paul an Christian Otto. Schwarzenbach a. d. Saale und Hof, 15. Juli 1790 bis 18. Juli 1790.

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Brieftext


Schwarzenbach an der Saal den 15 Jul. 90.

Mein lieber Christian!

Ich wil dich zum Rezensenten machen: weiter steht nichts im
Brief.


Ich werd’ in meinem Leben das Weissagen, französische Schreiben
und das satirische nicht lassen; aber doch Intervalle kan ich nicht ab
wenden: du hingegen kanst die im 3ten Stük verhüten. (Jezt red’ ich
wie ein in ein zweites Ich Verliebter nur von meinem). Indes ich

hier mit meinem pädagogischen Quentlein 〈Drachma〉 wuchere und
Einem Orte nüze: thu’ ich wieder allen übrigen Orten den wirklichen
Schaden, daß ich nichts Satirisches hecke. Ich werde mich wahrhaftig
schlecht bei der klugen Welt entschuldigen, wenn ich mich mit den
vielen Bänden blos entworfner Satiren, die ich iede Stunde gerichtlich
niederlegen kan, zu decken meine: denn die Welt kan sich gar zu leicht
denken, daß ihrem Vergnügen nur die Sachen zu Passe kommen, die
ich schon zum Drucke fertig gemacht. Dazu zwingt, treibt und lokt
mich aber iezt gar nichts, wenn du es nicht — aus Liebe zur Welt —
thuest; und zu diesem Zwingen etc. wil ich dich wieder zwingen, treiben
und locken: und dieser Brief ist der Perpendikel für 4 Räder auf einmal.


Den 18 Jul. Hof [Sonntag].

Ich wil dir hier das Uebrige kurz und ernsthaft schreiben. Ich bitte
dich nämlich, 1) mein Publikum und mein Leser zu werden, damit ich
einen Reiz zum Machen habe. 2) Mein Rezensent auch zu werden. Du
köntest ia mit 2, 3 Worten das Schlimste und das Beste anzeichnen,
weil man, ohne alle äussere Winke und Meilenzeiger, sich warlich am
Ende in eine so fehlerhafte Originalität hineinarbeiten könte, daß es
Got erbarmen möchte, aber nicht die Rezensenten. Geniert dichs indes:
so schlag’ mir nur den 3) Punkt nicht ab, daß du aus beigefügtem
Register, dessen Vermehrung ich dir bald schicken wil, die Satiren
erliesest, die du mir zu machen befiehlst, weil meine eigne Wahl alle
begint und keine endigt. Sobald ich mit 1 oder 2 Pensis fertig wäre:
gäbest du mir alzeit neue auf. Und so wird etwas aus mir werden.


Dem Pfarrer in Schwarzenbach oder Wernlein mach’ ichs mit
dem Ernsthaften so — und so würd’ ichs auch gegen dich mit dem
Romane machen, an dem ich laiche, wäre dein Geschmak weniger
durch die Lesung der besten Romane verdorben.


— Aber lang passe nicht und heute gieb mir deine mündliche oder
schriftliche Antwort.

Das Ding über den Tod ist nicht das längere, wovon ich dir einmal sagte.

Thu mir ia den Tort nicht, mir meinen feinen Entwurf, mich selber
zu erziehen, zu vereiteln.


Ich bin


Dein Erz- und Hofprophet und Fr[eun]d
Richter

[Adr]. Des Herrn Christian Otto Hochedelgeboren. Mit 4½ Bogen.
[Beilage]
  • 1. Florian Fälbels Reise mit seinen Primanern.

  • 2. Beschreibung der öffentlichen und Privatbibliotheken des
    Dorfes unweit der See Kuhpanz. (fast fertig)

  • 3. Diabolokratie stat der Theokratie.
  • 4. Sprichwörterspiele.

  • 5. Beschreibung der Zimmer, die ich in meinem Leben bewohnet.

  • 6. Ediktalzitazion — Stekbrief meiner Frau.

  • 7. Beweis daß die gefoderte Tugend der Keuschheit nur das
    lutherische Zölibat im weiteren Sinne sei.
  • 8. Lavaterische Aussichten in die Ewigkeit bei einem Seleniten,
    der die Erde für seinen künftigen Himmel ansieht.

  • 9. Pak Apologien des Ehebruchs, des einfachen und doppelten.

  • 10. Rezension der Opera des H. Reichsherkommen.

  • 11. Daß Monarchen unsre Päbste sind.
  • 12. Die gefrornen Wörter am Nordpol, nach Mandeville.

  • 13. Eine Akademie die blos aus Ehrenmitgliedern besteht.

  • 14. Gegen die Titularräthe; nebst der Verewigung auf Pfeffer
    kuchen in Schlesien.

  • 15. Daß die Weiber unsre Päbste sind.
  • 16. Meine Magensaft-Bräuerei.

  • 17. Frazen.

  • 18. Besondre Fälle aus der Pastoraltheologie.

  • 19. Daß die Betler unsre iezigen Barden sind.

  • 20. Gerichtshof der Liebe.
  • 21. Suplik eines Poeten an den Reichshofrath um die Standes
    erhöhung zum gekrönten Poeten nebst dem Beweis seiner
    poetischen Einkünfte.

  • 22. Auch eine eines Baron [!] um den Grafenstand und Beweis
    seiner gräflichen Einkünfte.
  • 23. Beschreibung der gemalten, geschnizten Thiere, Begebenheiten
    etc. die beim Vogelschiessen abgeschossen werden.

  • 24. Beschreibung meines Epitaphiums.

  • 25. Erfindung des Essens; Rechtfertigung der Schaugerichte etc.

  • 26. Verse auf den Spizbuben, den Särgen, Schüsseln — Inskrip
    zionen der Strumpfbänder.

  • 27. Neue Hypothese aus der Hypothese der harmon[ia]praesta bilita.

  • 28. Daß wahre Tugend nur im Reden bestehe.

  • 29. Anleitung zur mechanischen Schriftstellerei.

  • 30. Daß die Fürsten Götter sind und zwar böse.

  • 31. Die Gesichtspunkte, woraus der Teufel, der Tod und der
    Maler die Welt ansehen.
  • 32. Weibliche Ohnmachten.

  • 33. Da es schon 3½ Uhr ist: so mus ich nach Hof und das Übrige
    mach’ ich nach.
  • Textgrundlage

    Jean Pauls Sämtliche Werke, Historisch-kritische Ausgabe. Dritte Abteilung, Band 1. Hrsg. v. Eduard Berend. Berlin: Akademieverlag, 1956.

    Kommentar (der gedruckten Ausgabe)

    Brief: H: Goethe- u. Schiller-Archiv. 2 ½ S. 4°; auf der 4. S. Adresse (durchstr.). Faksimile: Wahrheit Bd. 1. K (nach Nr. 330): Otto 18 Jun. [!] J: Otto 1,3. Beilage: H: Berlin JP. 2 S. 4°. J 1: Wahrheit 4,333×. J 2: Papierdr. 2,3×. A: IV. Abt., I, Nr. 114. 299,8 zum Drucke fertig gemacht] drucken lassen K 10 Zwingen] Locken K 11 der Perpendikel für 4 Räder] ein 4 Räder treibender Perpendikel K 16 und] aus oder H 17 man … sich] ich … mich K 24 wird] kan K 25 oder Wernlein] von fremder Hand gestr. H 300,35 den] beidemal nachtr. H

    229 , 20—22 Otto bestimmte die erste und die letzte Nummer der Beilage zur Ausführung. 27 Roman: Die unsichtbare Loge. 31 Das Ding über den Tod, das Richter mitschickte, war vermutlich die kleine Erzählung „Das Leben nach dem Tode“ (II. Abt., III, 252—255; vgl. zu Nr. 333 u. 340), das längere die Abhandlung über die Fortdauer der Seele (II. Abt., III, 339—360; vgl. 315, 7). Außerdem lag dem Briefe noch, wie aus A hervorgeht, ein Teil der „Supplik der Schikanedrischen Truppe“ aus der Kreuzerkomödie (II. Abt., III, 203—213) bei. — 300f. Von den in der Beilage angeführten geplanten Stücken sind viele in Jean Pauls Werke übergegangen, andere mehr oder weniger ausgeführt im Nachlaß vorhanden: 1. Fälbel: I. Abt., I, V, 196—207. 2. Beschreibung der Bibliotheken: I. Abt., VIII, 255—273 (Anhang zum Titan); vgl. II. Abt., III, 256—268. 6. Steckbrief: I. Abt., XVI, 109—111. 7. Zölibat: II. Abt., III, 58—62. 8. Aussichten in die Ewigkeit: I. Abt., VII, 108 bis 110 (Erklärung der Holzschnitte). 9. Apologien des Ehebruchs: I. Abt., II, 62—67 (Unsichtbare Loge); vgl. auch II. Abt., III, 56f. 12. Gefrorne Wörter: I. Abt., III, 175f. (Hesperus). 14. Pfefferkuchen in Schlesien: I. Abt., III, 245 (Hesperus). 15. Weiber unsre Päbste: I. Abt., II, 76f. (Unsichtbare Loge). 16. Magensaft-Bräuerei: II. Abt., III, 269—274. 17. Fratzen: II. Abt., III, 275—279. 19. Bettler unsre Barden: I. Abt., V, 361—366; vgl. II. Abt., III, 296—300. 21. Supplik eines Poeten: I. Abt., V, 352—356. 23. Vogelschießen: I. Abt., VI, 202ff. (Siebenkäs, 7. Kap.) 24. Epitaphium: II. Abt., III, 51—53. 25. Schaugerichte: II. Abt., II, 408—433. 27. Neue Hypothese der harmonia praestabilita: II. Abt., III, 222f. 28. Tugend im Reden: II. Abt., II, 196—230. 29. Mechanische Schriftstellerei: vgl. II. Abt., II, 144—147. 30. Fürsten böse Götter: II. Abt., II, 231—234; vgl. I. Abt., XVII, 56f. 31. Teufel, Tod und Maler: II. Abt., II, 396—401; III, 63f. 32. Weibliche Ohnmachten: I. Abt., II, 244—246 (Unsichtbare Loge); vgl. II. Abt., II, 395.

    How to cite

    Jean Paul - Sämtliche Briefe (statisch), herausgegeben von Hanna und Ronja, LaLe 2025 (https://acdh-tool-gallery.github.io/jean-paul-briefe-static/I_329.html)