Von Jean Paul an Anna Marie Sophie Ellrodt. Hof, 23. August 1783.
Brieftext
Heute schreib’ ich Ihnen nicht viel; morgen sag’ ich Ihnen dafür mer.
Danken aber mus ich Ihnen eher als ich das Glük geniesse, wofür
ich
Ihnen danke. Aber hätte ich vorhergesehen, daß Ihnen die
Erfüllung
meines Wunsches, Sie noch einmal zu umarmen,
die Übername einer
Beschwerlichkeit wie die morgendliche ist
kosten würde: so hätt’ ich
mein Vergnügen eben so gerne Ihrer
Bequemlichkeit aufgeopfert als
Sie die leztere ienem
aufopfern. Vielleicht beleidig’ ich Sie mit dieser
Versicherung und den Dank für kleine Aufopferungen könten Sie für
einen Zweifel an grössern aufnemen. Allein in der Liebe ist Ihr
Los,
Gütigkeiten zu erweisen, und meines, dafür zu danken; Sie
äussern die
Ihrige durch Geben, ich die meinige nur durch
Annemen und alle Ihre
Reize bezale ich Ihnen mit nichts als —
einem Herzen. Leben Sie wol
nicht nur solange bis Sie mich
glüklich machen, sondern auch bis Sie es
selbst sind.
Unendlich wärmer als iezt werd’ ich Sie morgen versichern etc.
N. S. Nur die Liebe solte in Briefen das Recht haben, Postskripte
zu machen: denn nur sie kan niemals ihre Materie erschöpfen.
Wenn
die Geliebten sich sehen, so spricht alles an ihnen;
was die Zunge nicht
sagt, sagt das Auge und die küssenden
Lippen volenden das, wozu das
Auge und die Zunge stum waren
— demungeachtet sprechen sie für
einander noch zu
wenig; wie viel weniger können sie sich sat sprechen,
wenn
sie schreiben, wo sie mit nichts als der — Feder sprechen
können! … Eh’ ich mer sage, mus ich Ihnen etliche Verse aus dem
Spanischen [?]
hersezen, die nicht schöner sein könten. / Der Bote eilt;
ich mus schliessen. Die Gegenwart eines andern unterbricht
bei mir alle
Empfindung. Morgen wird sie niemand
unterbrechen.
How to cite
Jean Paul - Sämtliche Briefe (statisch), herausgegeben von Hanna und Ronja, LaLe 2025 (https://acdh-tool-gallery.github.io/jean-paul-briefe-static/I_59.html)