Von Jean Paul an Johann Wilhelm Meinhold. Bayreuth, 26. Dezember 1820.

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Brieftext

Baireut d. 26ten Dec. 1820

Verzeihen Sie einen Ihnen vielleicht ungewöhnlichen Aufschub der
Antwort. Aber ich muß zu oft eine geben; und habe dazu doch mehr
Lust als Zeit. Noch wartet z. B. eine Tragödie auf meinem Bücherbret,
welche ich nach einmaliger Lesung, mir zu Gefallen verbessert, zurück
bekommen zu einer zweiten, damit ich darauf für einen Verleger und —
das Schlimmste — für einen Vorredner sorge. Letzter war ich wol 3 oder
4mal; aber eben darum darf ich es, sogar wenn es mehr hülfe als leider
bei Dobenecks Buch über die alten Sagen, nicht mehr sein; ein rechtes
Werk hilft sich, wenn auch langsamer, auch ohne Vorrede durch. Zu
Verleger-Werbungen hab’ ich weder Geschick, noch Zeit, noch Lust, noch
Glück, noch Verhältnis; denn höchstens erwerb’ ich einen, wenn ich ihm
meine Vorrede dazu mitschicke, weil ein bloßes stilles Briefurtheil oder
Briefblättchen ihm als ein zu dünnes Segel zum Fortbringen seines
Kauffarteischiffchens vorkommt. Sie werden also verzeihen, wenn Sie
für Ihr Werk von mir nichts bekommen als meine Wünsche und Gefühle.
Sie sind des wahren tragischen Ausdrucks mächtig; und ich habe daher
Stellen, die mir durch Wahrheit und Feuer und Bilder am meisten
gefielen, mit vertikalen Strichen bezeichnet; einige andere entgegen
gesetzte aber mit Dreiecken. Ihr Jugendfeuer, das jetzo schon hell und
ohne Rauch in die Höhe steigt, verspricht der Dichtkunst viel. Nur
scheinen mir die Wahl der Fabel und die verwaschene Darstellung der
Charaktere unter dem Werthe Ihrer tragischen Sprache zu bleiben. Der
Kindmord schon auf der Schwelle des Stücks verjagt einen Theil des
Interesse, das nachher durch die Plane eines zweiten nicht sehr wachsen
kann.


Gehen Sie nur weiter fort und lassen Sie sich dabei von Sophokles
und Shakespeare führen: so werden Sie bei solcher Jugend, bald fliegen
und steigen.

Ihr Manuskript werd’ ich durch eine Gelegenheit nach Berlin ab
schicken; wo es von da aus auf die Post kommen soll.


Leben Sie froh! — Aber dieser Wunsch ist in der Nachbarschaft der
Muse fast überflüßig.

Jean Paul Fr. Richter

Textgrundlage

Jean Pauls Sämtliche Werke, Historisch-kritische Ausgabe. Dritte Abteilung, Band 8. Hrsg. v. Eduard Berend. Berlin: Akademieverlag, 1955.

Kommentar (der gedruckten Ausgabe)

H: ehem. Pastor Wilh. Meinhold, Herford i. W. 4 S. kl. 8°. K 1 (durchstr.Konzept): Rektor [nachtr. an der Stadtschule] Wilhelm Meinhold in Usedomin Pommern. K 2 (von 88,4 Antwort an von Emmas Hand): WilhelmMeinhold in Usedom in Pomm. 26 Dec. i 1: Wahrheit 8,270× (ohne Datum und vollen Namen). i 2: Denkw. 3,316×. J 1: Pommersche Provinzialblätter, 3. Bd. (1821), S. 225×. J 2: Baltische Studien, N. F. 31. Bd.(1929), S. 214. J 3: W. Meinholds Briefe, hgb. von W. Bethke (1935),S. 72. B: IV. Abt., VIII, Nr. 72. 88,9 hälfe K 2 14 meine] aus die H 15 als] nachtr. H 16 vorkommt] aus erscheint H 23 scheinen] aus scheint H (vgl. 78, 6f.†) verwaschene] nachtr. H 24 bleiben] aus stehen H 25 Kindermord K 2 einenTheil des] aus jegliches H 26 Interesses K 2 28 Sophokles] Schiller K 2 (vielleicht von der kopierenden Emma geändert) 31 nach] davor bald K 2. — In K 1 heißt es noch: In Ihrem Briefe erfreueten mich am meisten Ihre Worte überIhre Jugend und die schwierigen Verhältnisse, unter denen Sie Ihr Gedicht[aus Werk] erschaffen haben.

Der damals 23jährige, später durch seine „Bernsteinhexe“ berühmtgewordene Johann Wilhelm Meinhold (1797—1851) hatte seine Tragödie „Herzog Bogislaff“ übersandt mit der flehentlichen Bitte, sie, wennsie es verdiene, der Welt zu übergeben und ihm bald zu antworten. —Probeszenen aus dem später „Sophie von Pommern“ betitelten Stückerschienen im folgenden Jahr in den Pommerschen Provinzialblättern(s. o.). 88, 5 Tragödie: s. Nr. 149†.

How to cite

Jean Paul - Sämtliche Briefe (statisch), herausgegeben von Hanna und Ronja, LaLe 2025 (https://acdh-tool-gallery.github.io/jean-paul-briefe-static/VIII_133.html)