Von Jean Paul an Max Richter. Bayreuth, 20. Februar 1821.
Brieftext
Mein guter Sohn! Dein den 6ten abgegangner Brief an Emma kam
den 19ten an. — Zeitmangel
und der heutige kälteste Tag im Winter
verkürzen meinen
Brief. Viele Zufälle verknüpften sich zur Vergiftung
des
Winters. Ein Oxhofft Graves-Wein mußt’ ich mit Verlust
ver
tauschen, nachdem ich 24 mir
schädliche Flaschen davon getrunken;
aber auch das dafür
eingetauschte Feuillett weißer Burgunder schlägt
mir nicht zu. Im Herbste rieth mir mein eigner Körper-Genius
ver
geblich zur Aderlaß, die einzige
Hülfe gegen mein Lungenübel. Zum
Glücke brachte mich die
Hellseherin Kurz dazu. Am 15ten
libierte ich
noch 4 große Tassen 〈8 Unzen〉 kräftiges derbes Drescherblut
von
vielem Kruor und wenig Serum dem Todtenmonat, wie die
Römer den
Februar nannten. Die Hellseherin sah mein
ganzes Innere wie ich es
im Siebenkäs (III p. 41) beschrieben und behauptete, daß ohne Ge
genmittel Ein Schlagfluß — kein
wiederholter — meinen Ekel an der
leeren Oberfläche Baireuts durch dessen vollere Unterfläche leicht auf
einmal heben würde. Aber das Blutlassen half mir ungemein;
und wird
nun jährlich (wenn noch die
Adern dazu da sind) wiederholt. — Ach! ich
habe der Welt, die
mir wenig Freuden mehr geben kann, noch so viel
zu sagen,
zumal über Philosophie und Theologie! Hundert neue, aber
kühne
Ansichten könnt’ ich geben. Die alten der Orthodoxie, der positiven
Offenbarung sammt den Lehren von Sündenfall,
Genugthuung und
verwandten ließ ich längst dem finstern
Winkel, welchem sie Lessing,
Hemsterhuys und zum Theil Jacobi übergaben. — Mich erquickt
dein
religiöses frommes und für Gott begeistertes Gemüth; aber
Baader,
Kanne, Daub, und sogar der unbedeutende Feuerbach haben dir
deinen
frischen Lebens Sinn weg- und eine enge Orthodoxie
eingepredigt, bei
welcher am Ende alles Feuer der Wissenschaft so wie meine
Hoffnungen
von dir sinken müssen. Zu einer Umänderung
deines Studienplans sag’
ich gerade zu
Nein, weil zu einem Doktor der Theologie jetzo Zeit
—
bei dem ungeheuern Umfange dieser meinenden Wissenschaft —
und
Geld und noch mehres fehlt. Was deine Seele als
theologische Nahrung
bedarf, kann sie auch auf der
philologischen Laufbahn, seitwärts ohne
gelehrtes Erlernen,
sich verschaffen. Aber die rechte und wahre Gott
lehre findest du nicht in der Orthodoxie, sondern in der
Sternkunde,
Naturwissenschaft, Dichtkunst, in Plato, Leibnitz, Antonin,
Herder,
eigentlich in allen Wissenschaften auf einmal. Hörst du Paulus zuerst,
so wirst du ohnehin meiner Ermahnungen nicht bedürfen. —
Hegel ist
der scharfsinnigste unter allen jetzigen Philosophen, bleibt
aber doch ein
dialektischer Vampyr des innern Menschen. —
Lies doch im 1ten
B[and] des Kometen
den letzten Aufsatz: Traum über das All; mein
bester seit langer Zeit. — Nichts erdrückt mehr dem
Geiste alle Spring
federn als das
Auflasten mehrer Kollegien hinter einander; die Korn
säcke der Kenntnisse werden dann nur faul getragen, aber nicht zum
Selber-Tragen
auseinandergesäet. — Bei meinem hiesigen Bankerut
an
Gelehrten (ich habe niemand) drückt mich meines geliebten unent
behrlichen Heinrichs Schweigen hart. Grüße ihn und die SeinigenSeines Vaters zweiten Antistolberg hab’ ich geliehen bekommen: der
erste
ist nur eine Ovatio gegen
diesen vollendeten Triumpus, wie Cicero in seiner
Jugend
schrieb, oder Trumf.
recht heiß, und den guten Schwarz
für seinen Brief über dich. — Nimm
doch feines dünnes Briefpapier, wie etwa Voß gebraucht, da die
Briefe nach dem Gewicht und deine oft mit 28, 30 kr. bezahlt
werden
müssen. — — Wagner
beschrieb mir seinen neuen Himmel und seine
neue Erde in Augsburg. —
[mit roter Tinte:]
Ich will doch einmal mit rother Dinte gegen deine
so
oft getadelte Handschrift angehen, ob du vielleicht nicht auch roth
über einen Fehler wirst, der dir jährlich unter den Händen
wächst. Die
elende Hand sogar eines Cotta und Böttiger sind leserlicher; zumal da
du immer scharfe Züge machen willst — und also durch
Federschneiden so
viel Zeit versäumst als durch Schönschreiben
geschähe. Erstlich alle
deine Anfangbuchstaben sind
willkürlich; Nl statt M,
[folgen mehrere
Zeilen mit Nachzeichnung fehlerhafter
Schreibungen]
— Ich kann
deine Fehler nicht nachkopieren;
kurz deine ll, w, v, e, s, T, M, N,
sch, C sind rein falsch.
— Welche bessere Hand schriebst du hier, die nun
in Faust und
zuletzt in Kralle auswachsen muß. Wie leserlich schreibt
der
viel schreibende Heinrich
V[oß]
auch im eiligsten Drängen! — Hier
gibts nun kein Mittel gegen eine Unart, die dir einmal
Gönner, Freunde,
Leser etc. etc. kosten kann, als mein
— noch nie gebrochnes — Wort, daß
ich dir nie antworten
werde, wenn du an mich oder an die andern öfter
als sieben mal in deiner Handschrift sündigst.
[mit schwarzer Tinte:]
Nun lebe wohl, mein theuerster Sohn!
Deine Briefe
geben mir übrigens reine Freuden und die Sehnsucht, dich
wieder zu sehen; weil ich dich bei jedem Wiederfinden immer
veredelter
an das Herz bekomme.
N. S.
Auf das Erinnern der geliebtesten Mutter, daß ich dich mit meinem
körperlichen Befundzettel (visum repertum) ängstigen würde, trag’ ich
hier
nach, daß ich eben in diesem Jahre, wo der Allgütige mir die Hell
seherin zur Rettung zusandte, die
größten Hoffnungen eines verlängerten,
ja langen Lebens
gewonnen. Das einzige Blutlassen reichte schon hin,
auch
ohne ihre trefflichen Rezepte, die ich jedes Jahr fortgebrauchen
kann. Übrigens bin ich, sobald ich nur schreiben kann,
heiter und be
glückt; die Leerheit des
gelehrten und geselligen Baireuts bedeckt sich
mir mit dem
Hoffnung-Grün der Sommerreise, und jede andere Lebens
Leerheit sich mit dem Glanze der erwachenden Lenznatur; — und um
mich her hab’ ich ja deine beste Mutter zum Lieben und
deine Schwe
stern — und über die Gasse
hinüber Emanuel.
How to cite
Jean Paul - Sämtliche Briefe (statisch), herausgegeben von Hanna und Ronja, LaLe 2025 (https://acdh-tool-gallery.github.io/jean-paul-briefe-static/VIII_146.html)