Von Jean Paul an N. G. A. Lehmann. Bayreuth, 20. März 1821.
Brieftext
Jetzo, da ich Ihren ... Brief zum 2ten male der Antwort
wegen
durchlese, schmerzt mich mein langes Schweigen
doppelt. Aber leider
muß ich jeden spät beantworten, dem ein
Mskt — als ein längerer
Brief — beiliegt, weil ich da
mehr zu beantworten habe als einen
kurzen. (Gegenwärtig
passen und mahnen neben mir 2 ungedruckte
Trauerspiele etc.)
Ihr Lehrgedicht zeigt mir den Denker und Dichter
zugleich. Einiges, nicht alles was mir gefiel, hab’ ich mit
einem Blei
strich bemerkt. Das Denken
reift an der Zeit, das Dichten zwar weniger,
aber wol
die Künste der Darstellung. Unter diese rechn’ ich bei Ihnen
besonders Versbau und Sprache; und es fehlt Ihnen daher nichts, als
was sich leicht oder auch schwer erwerben läßt, aber nicht
das was
man geschenkt bekommt vor der Geburt. Machen Sie
sich nur alles recht
schwer — unähnlich den
Almanachdichtern, die nur sich es leicht machen,
aber
nicht den Lesern — so wird Ihnen das Leichte und Beste von selber
zufallen. In Ihren südlichen Liedern weht ein froher
leichter Zephyr;
aber ich glaube doch, daß der Mittelpunkt
Ihrer Kräfte didaktische
Dichtkunst ist. Verzeihen Sie meine
Kürze und den davon kommenden
Schein des Absprechens. Ich
wollte Ihnen heute am Vigilientage vor
meinem
Geburttage nichts sagen als meine Gefühle und Wünsche.
How to cite
Jean Paul - Sämtliche Briefe (statisch), herausgegeben von Hanna und Ronja, LaLe 2025 (https://acdh-tool-gallery.github.io/jean-paul-briefe-static/VIII_158.html)