Von Jean Paul an Caroline Richter. München, 31. Mai 1820 bis 4. Juni 1820.
Brieftext
Meinen Brief aus Regensburg
erhieltest du doch?
Liebe Karoline! Ich will alles stät ohne Vorgreifen in die Zukunft
erzählen. Meinen Brief aus Regensburg hast du gewiß. Auf
dem Wege
von Regensburg nach Landshut schickte mir Gott Vormittags
drei
wolkenlose blaue Sonnenstunden und ich hatte darin
zum ersten und
letzten male auf dieser Reise wieder jene
Reiseidyllenstimmung, nach der
ich Jahre lang schmachte
und die fast keine Gesellschaft erträgt als einen
Kutscher, der in die schöne Weite hinein singt, was meiner that. Nach
mittags, wo Landshut immer reicher
vortritt, ersah der Teufel sich der
Gelegenheit und begoß mich aus den Wolken und
ersäufte für meine
Phantasie die schöne Isar und die
Brücken und den Bergkranz um
Landshut. Da besuchte ich
blos — den Brief an Podewills ließ ich aus
Zeitmangel nur abgeben — Köppen
mit seiner recht alten Frau, die
mir mit alter Erinnerung entgegenflog; — ein kräftiger
Abend und
Abendessen voll Ströme der Reden und der
Liebe. Keinen andern Ge
lehrten hatt’
ich Zeit und Lust zu sehen. Natürlicher Weise wars Tags
darauf noch grauer und regnerischer auf der Fahrt nach Freisingen (ich
erfror in meinem Mantel beinahe) bis es in der Nähe von
Freisingen,
das noch schöner liegt, noch schlechter
wurde, nur endlich aber am aller
schlechtesten auf
der Nachmittagstraße nach München; ein Pelz über
dem Mantel hätte mir wolgethan unter dem Sommerrock. Die
regne
rische Einfahrt in das
glänzend-gebauete München hielt endlich nach
einer kurzen Fehlfahrt vor dem goldnen Adler still, dessen
herrliche
Vorderzimmer alle so besetzt waren, daß ich das finstere
Eckzimmer in die
Hofenge nehmen mußte. Ich glaube
nicht, daß ich auf dem ganzen Wege
je eine Minute lang so
verdrießlich und hoffnungvoll war, als in der
einlogierenden. Maxen sucht’ ich im 5 Treppen hohen
Neste auf, aber
ich mußte einen Berichtzettel an die Thüre kleben, ich
sei da und bei
Schlichtegroll. Hier fand ich die fast der Schukmann jetzt ähnliche,
körpergealterte, aber geistigvorige Schlichtegroll wieder — es ärgert
mich doch, daß die Jahre den Weibern außen mehr nehmen
als den
Männern innen —; und nach ihrer Vermuthung war Max bei ihrem
Sohne. In 2 Minuten hing er schluchzend an mir. Sein
Körper und
Gesicht ist herrlich ausgearbeitet — er ist ½ Kopf länger
als ich,
blühend und voller, nicht magerer im
Gesicht. Er war und blieb immer
fort netter, bestimmter,
eleganter angekleidet als ich, und trägt doch
nur die
mitgebrachte Kleidung. Seine persönliche Erscheinung erreicht,
ja übertrifft seine Briefe und mein ganzes Vaterherz liebt
den reinen,
freien, kräftigen, bescheidenen, anspruchlosen Jüngling. Als er mit
mir von Schlichtegroll nach Hause
ging, fragte er, was macht denn die
Mutter; aber die Stimme erstickte ihm unter Weinen der
Liebe — und
diese hat er rein und recht und ohne irrige
Verschwendung. Sein
innigster Freund ist ein Mitseminarist
von 27 Jahren, Merk (denn im
Seminar studiert sogar einer, der Frau und Kinder hat).
Alle seine
Bekannte schätzt er mit großer Schärfe
in Rücksicht des wissenschaftlichen
und sittlichen
Strebens ab, aber doch mit gradeweiser Liebe. — Nur
die
Kamaschen, aber nicht den Sommerrock und anderes hat er an
genommen, „weil er nichts brauche“, sogar deinen Kaffee
und Zucker
nicht, auch nicht die Uhr. In seiner Wohnung
kann er sich nichts
zubereiten lassen; am Morgen
nimmt er gewöhnlich nur Milch;
abends nach einem fremden
Gastmal nichts. Den mitgebrachten Stollen
bracht’ er mir heute, nachdem er davon unter seine 2
arme Mit
häuslinge ausgetheilt, zurück,
weil er dachte, ich wolle davon. (Thats
später auch mit der
geräucherten Zunge)
Wie schwillt mein Stoff und verschrumpft meine Zeit! Und doch hab’
ich kaum angefangen, hier zu sein. Max frühstückt und soupiert mit mir
und durchläuft die Stadt für mich und mit mir. Noch nicht
den kleinsten
Tadel hatt’ ich auszusprechen oder nur zu
verbergen. Durch ihn bin ich
ordentlich halb in Baireut. Am Mittwoch holt’ er mir auf der Polizei
die Nummern der Vermiethzimmer. Dann ging ich zu H. Mann mit
ihm, fand aber blos die schönaugige Frau; und ich
dankte später Gott
dafür; denn Mann selber hätte
mir in seinem großen Hause gewiß ein
Zimmer angeboten und
ich wäre, nach Erlangung einiger galli
kanischen, d. h. kulinarischen (d. h.
Keller-) Freiheiten, dem Wolwollen
erlegen. Aber Max flog zu mir mit dem Funde eines herrlichen Stutt
garter Quartiers, zwei
Zimmerchen mit Abendsonne — 12 fl. auf
4 Wochen, mit
Aufwartung — eine Rollwenzel-Wittwe, aber höherer
Bildung, mit 2 Söhnen und 2 Töchtern — Manche Leute
blieben bei ihr
statt 2 Monate mehre Jahre. Die ganze,
recht bürgerliche Familie, die
abends schon um 6½ Uhr ißt,
wiederholt nicht, sondern übertrifft die
stuttgartische. Als ich ausgegangen, hatte die freundliche Hausfrau eine
unscheinbare Decke eingeschwärzt für den — Ponto. Ihr
Sohn, der
Maler, wollte anfangs erst Montags ausräumen, aber alles
war doch
gestern um 5 Uhr gethan. Was ich nur wünschte —
Nachttischchen am
Bette, Blumen u. s. w. — kam. Endlich
aber, als gar gestern früh der
andere Sohn,
Sekretär in Thürheims Ministerium, aus meiner Lega
zionadresse meinen Autornamen, den
ich immer unterwegs verschweige,
heraus hatte: so hört das
Bedienen und Erfreuen gar nicht auf und
er kam gestern
morgen zu mir und sagte: er möchte mich einsaugen
vor
Liebe. Die gute freundliche, aber überall vorsichtige Alte kann
bei mir gar nicht aufhören zu reden. Kurz in ganz München hab’ ich
das einzige rechte Stübchen für mich aus der Münchner Zahlenlotterie
gezogen.
Adreßiere denn: abzugeben Nro 1453 im Rochusgäßchen bei
Mad.
Gail.
Ich schreibe dir zu viel; und zu sehr von allem; noch kam ich zu keiner
Zeile Bücherarbeit. H. v. Mann gab
mir seine Loge in 3 Theatern,
heute, außer dem Mittagessen mit Max, noch den Wagen zum Vor
fahren bei vier Ministern, wovon nur
Thürheim zu Hause war, und die
Einladung auf sein Gut am Stahrenbergersee. — Die
Rosoglio
Flasche fand sich; aber nur Eine vom
Kapwein und keine andere ge
siegelte. Wie kams denn, daß du mir
nicht ein einziges feines weisses
Schnupftuch eingepackt?
—
Gestern sah ich Welden auf eine Stunde. Er ist seiner
Mutter
würdig; ein anspruchloser, kräftiger, in vollster
Gesundheit blühender,
angenehmer Jüngling. Physiognomisch
ist er die ins Männliche über
setzte
Weiblichkeit der Schwester F., in Blick, Auge, Mund und Nase.
Wie seelig wird er unter den Seinigen, nach denen er
lechzet, sein und
machen! Max ist sein einziger Freund hier. Dich wird der reine, ruhige,
einsicht- und liebevolle Jüngling so bezaubern wie seine
Mutter. — Von
meinen vielen geselligen Verhältnissen im nächsten
Briefe. — Max und
meine Wohnung machen indeß meinen größern Genuß. Grüße
was mich
liebt und küße meine Kinderlein und lebe froh und
im Freien, meine
geliebte Karoline. Bei Schlichtegroll trank ich mit Max und den
Übrigen am 31ten Mai auf den
31ten
Mai.
Ich flehe dich an, daß du in meiner Stube gar nichts umändern oder
weißen lässest als den Fußboden; so auch im
Schlafzimmer.
How to cite
Jean Paul - Sämtliche Briefe (statisch), herausgegeben von Hanna und Ronja, LaLe 2025 (https://acdh-tool-gallery.github.io/jean-paul-briefe-static/VIII_54.html)