Von Jean Paul an Heinrich Voß. Bayreuth, 12. Mai 1817.

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Brieftext

Baireut d. 12 Mai 1817

Endlich hab’ ich die Freude, Sie um zwanzig bis dreißig Dinge
zu bitten, welche indeß alle auf die Stube hinauslaufen, in der ich
Ihnen dafür danken will. Ich brauche nämlich — etwa von der
Pfingstwoche an bis zum längsten Tage — ein Stübchen zur Miethe
(nicht einmal ein Kämmerchen dazu) — ferner ein Bette — ein
schlechtes Kanapee, weil ich nur auf einem lese und schreibe — jemand
zum Kaffee- und Bettmachen und Getränkholen — gar keine Möbeln
außer den aller unentbehrlichsten. — Nur liege das Zimmerchen nicht
dem Sonnenbrande gegenüber, sondern lieber der Abendsonne, oder
dem Museum, oder der Wirthtafel, wo ich esse; und, wenn möglich,
ohne besondern Lärmen in der Morgen schlaf stunde, die für mich
mehr Gold im Munde hat als die Wachstunde. Auch außer der
Stadt kann mein (herrnhutisches) Seitenhölchen oder meine Brut
zelle liegen. Ein Mittelpunkt braucht ja nicht groß zu sein, wenn nur
der Umkreis es ist; dieser bildet jenen, nicht jener diesen. Durchaus
muß ich alles miethen und bezahlen dürfen; so lebt’ ich in Erlangen,
Nürnberg, und wollt’ es auch in Regensburg, hätt’ es der Primas
nicht für mich bezahlt. Als Gast hätt’ ich nur halbe Freude d. h.
Freiheit.


Nach meinem geschwinden Wetterpropheten bekommen wir we
nigstens 1½ zu trockne Monate. Vielleicht feier’ ich schon die
h[eilige] Pfingstausgießung bei Ihnen. — Ihren Gegenwolf hat
mir der Buchhändler noch nicht geschickt. — —

Übrigens will ich Büchern mehr ent- als zufliehen; sie wol, aber
nicht Menschen, Berge und Ströme kann man sich verschreiben.


Langes Bleiben erspart langes Schreiben. Daher schnapp’ ich
hier ab, ohne viel noch zu reden von Heidelberger Handschriften und
von neuen Überchristen und Landständen und von Allem. Ich grüße
herzlich alle schon Gegrüßte; künftig grüß’ ich auch die Gesehenen
noch dazu.


Ihr
Jean Paul Fr. Richter

N. S. Ich allein komme; aber meine Frau holt mich vielleicht ab.
— Verzeihen Sie, daß ich Ihnen für so viel anbietende und vorsor
gende Liebe in Ihrem letzten Briefe noch nicht gedankt.

Textgrundlage

Jean Pauls sämtliche Werke, Historisch-kritische Ausgabe. Dritte Abteilung, Band 7. Hrsg. v. Eduard Berend. Berlin: Akademieverlag, 1954.

Kommentar (der gedruckten Ausgabe)

K 1: Heinrich Voß d. 13 [!] Mai. (Konzept vorher.) *K 2 (von Karolinens Hand): Berlin JP. J 1: Berliner Conversations-Blatt, 11. Jan. 1827, Nr. 8×. J 2: Wahrheit 8, 87×. J 3: Voß S. 1×. A: IV. Abt., VII, Nr. 53. 111,14 zwanzig bis dreißig] aus zehn bis zwanzig K 1 Dinge] verb. in Sachen K 1 16 will] davor gestr. werde K 1 20 Getränkeholen J 1 22 oder] fehlt K 2 24 Lärmen] Lermen K 2 , Lärm J 1 J 3 , Lerm J 2 25 die] eine J 1 J 2 26 Klammern fehlen J 1 J 2 Brustzelle J 1 27 Ein bis 28 diesen.] In der Fülle der Umgebung oder des Umkreises kann mein Mittelpunkt nicht arm <eng> genug sein — ihn macht die Peripherie, aber nicht er sie — K 1 (Konzept) 30 hätt’ es] hätte J 2 J 3 (fehlt J 1) 31 d. h.] und halbe J 1 112,1 heiligen Pfingstausgießungen J 1 , H. Pfingstausgießungen J 3 3 zufliehen] danach und ein Gelehrter <weiser Mann> ist mir lieber als die ganze Heidelberger Bibliothek. Ich bin nun zu alt, um Altes zu studieren — K 1 (Konzept) 4 Ströme] Steine J 2

Vgl. den ähnlichen Brief Nr. 170. 111, 17 Pfingstwoche: Pfingstsenntag war am 25. Mai 1817. 26 herrnhutisches Seitenhölchen: vgl. I. Abt., VII, 456, 14f. 112, 1 Gegenwolf: wahrscheinlich der Artikel in den Heidelberger Jahrbüchern 1816, Nr. 70: „F. A. Wolf der Metriker, dargestellt von Heinrich Voß.“ 7 Überchristen: vgl. Jean Pauls geplantes Werk dagegen, II. Abt., IV, 35. 14 letzten Brief: nicht erhalten.

How to cite

Jean Paul - Sämtliche Briefe (statisch), herausgegeben von Hanna und Ronja, LaLe 2025 (https://acdh-tool-gallery.github.io/jean-paul-briefe-static/VII_279.html)