Von Jean Paul an Caroline Richter. Heidelberg, 23. Juli 1817 bis 30. Juli 1817.
Brieftext
Meine Geliebte! Ich schreibe wieder, obgleich mein letzter Brief
erst morgen ankommen kann. Schreibe nur du viel öfter,
bei deinem
Reichthum an Zeit. Noch ist die erste Runde
der Einladungen nicht
vollendet; einige Hoffnung hab’ ich
aber immer, daß wenigstens
der nächste Sonnabend-Abend
mich zu Hause läßt.
Seit ich vorgestern in Schwarzens Haus eingezogen, thu’
ich als
sei ich erst in Heidelberg
angelangt und sage zu mir: du hast doch
einige Wochen vor
dir, denn die vorigen gelten nicht.
Essen und Trinken darf ich hier zum Glück bezahlen; aber was ist
dieß gegen die Geschenke des guten Gevatters? Meine
Stube
(sonst eine kleine Gaststube, wiewol
jetzo ja wieder) mit einem kleinen
Balkon gegen das nahe
herrliche Gebirge — Bett und alles vortreff
lich, sogar ein Wachslicht, das ich nur annehme, weil ich
weiß,
daß ich nur die Hälfte verbrenne — Am Morgen um
7 Uhr den
Orgelgesang der Zöglinge, etwas später das
Singen der schönen und
frommen Tochter zu Thibauts Akademie sich übend, und ihr Harfen
spielen dazu. Gerade mir gegenüber
liegt eine Bergstelle (in 8 Mi
nuten erstiegen) wo ich gestern
arbeitete und vor und unter mir hatte
die zierliche Stadt
— den Neckar bis nach Mannheim — die Gebirge,
die an die Vogesen stoßen — neben mir das auf und ab sich
hügelnde
Weingebirge —
Das einheimische Gefühl, in eine so gute Familie eingewebt zu
sein, macht ordentlich, daß ich das Hiersein erst von dem
Tage des
Einzugs datiere. Gewänn’ ich nur wenigstens 1
freien Abend! Aber
bis den Sonntag — nur den
Sonnabend noch ausgenommen — ist
jeder besetzt. In dieser
Minute (9 Uhr Donnerstags) ist mir ordent
lich, als
müßte[st] du eben meine Briefe
bekommen haben. Ich kann
diese deine Freude gar nicht
erwarten. (Dienstags den 29ten: meine
Hoffnung ist heute durch deinen Brief realisiert worden.)
—
So wenig bringt man fertig. Unmöglich kann ich mit der Feder
meinen Besuchen nachlaufen. Ich hebe daher nur aus. Die
er
quickende Liebe aller gegen mich
nimmt immer mehr zu und ich werde
traurig scheiden. Den
herrlichen Thibaut mit seiner Kraft und Liebe
verehr’ ich ordentlich. Gestern gab er vor dem
Eß-Thée durch seine
Singakademie Stücke aus 3 großen Werken von Händel, die
durch
mein ganzes Leben wirken sollen. Sogar den Hund — der
überhaupt
nichts frißt als Schinken und Zunge — haben
seine Kinder so lieb,
daß der eine Knabe sich Haare zum
Andenken von ihm geschnitten
und daß ich ihn ihnen
auf 1 Tag zum Lieben leihen soll.
Vorgestern machten an 12 Professoren eine Lustreise — der größere
Theil zu Fuß — nach Schwetzingen; und von dem
geistreichen Tisch
gespräche und vom Garten will ich
dir einmal erzählen. — Wären
die Lebenmittel und die
Miethen wolfeiler: ich wüßte keinen bessern
Ort
für dich und mich als Heidelberg.
Zum ersten male hab ich einen Abend frei. Heute bekam ich
meines Emanuels Brief, wofür ich seiner Seele danke. Gott
weiß,
ob ich nach Karlsruhe gehe,
wiewol es sehr lockt. — Nun weiß ich
doch, daß ihr alle bis zum 20ten wol geblieben. — Morgen geht es
mit 2 Wagen
nach Weinheim, drei Stunden von hier, an der
Bergstrasse hin. Denke dir das Schönste. — Eben waren die
beiden
guten Schwarzischen hier und
baten mich, dich recht zu grüßen:
„wenn wir sie nur hier hätten“. — In der ganzen Stadt
hätt ich kein
besseres und frömmeres Haus finden
können als dieses, da die
Schwarz eine Tochter von Stilling ist. Eben singt ihre Tochter
mit dem Bruder unter Orgel und Flötenspiel einen wahren
Sonn
abendsgesang. — Überhaupt scheint in
dieser heitern schönen Stadt
weniger Unmoralität,
wenigstens des Geschlechts zu herrschen und
mehr
Häuslichkeit als z. B. bei uns. — Von meinen Lob Geschichten
will ich, da ich deren müde bin, nur noch die eine
erzählen, daß ich
bei dem Pfarrer Dietenberger, der an 30
Mann zusammengebeten,
mich mußte von jungen Mädchen ansingen — das überreichte
Gedicht
bring’ ich dir — und darauf be- und umkränzen
lassen. — Wie mich
die Studenten lieben, zeigt:
die, die bei dem Zuge unter dem An
drange keine Hand von mir bekommen, erinnern daran und holen
sie nach in der Gesellschaft. Es ist schön, geliebt zu
werden, und man
lernt Liebe verdienen, wenn man sie
geschenkt bekommt.
Endlich heute fielen deine lang erhofften Blütenblätter wie vom
Himmel auf mich herab. Habe recht Dank dafür, und für die
Be
ruhigungen aller Art darin. Ich
will alles beantworten, obwol durch
einander. Schreibe deiner Schwester: dir und ihr zu Liebe mach’
ich eine mir sonst schwere Ausnahme und gebe etwas für
eine Samm
lung, obwol nur was ich kann
unter so vielen Arbeiten, nämlich keine
Erzählung,
sondern Satiren oder Einfälle. Der Punkt des Honorars
ist
der gleichgültigste bei so kleinem Beitrag. — Ginge heute Post
anstatt Donnerstags, so hättest du unerwartet-schnell
Antwort. —
Ich hoffe doch, du hast endlich deinen Brief
Emanuel gegeben und
er dir seinen; denn beide müssen sich ergänzen.
Von diesem Briefe
gib so viel du willst. —
Ich war in Weinheim mit großer Gesellschaft bei der
liebe-über
fließenden Falk. Der Weg dahin, die Bergstraße, ist weniger schön
(wie alle Gegenden) als man mir sie vorgemalt; blos die
Anhöhe
vor dem Städtchen umzingelt mit
Fern-Paradiesen. Darauf nach
dem Essen durchgingen wir
ein Tempethal (das Birkenauer genannt),
worin uns am Sonntage die zurückkehrenden Kirchweihleute
in
langen Reihen begegneten. Auf den Bergen wächst —
sage es zu
Emanuel — die seltene, nur auf den Alpen zu findende
kryptogamische
Blume Osmunda lunaria. —
Die beiden Mädchen brauchen ihre schön geschriebenen
Briefe
(jedes in anderem Sinne schön)
nicht zu siegeln, des Portos wegen,
und Max braucht gar
keine zu schreiben, des Schmierens wegen. —
Emma schreibe ja recht ab, da mein Buch bei meiner
Ankunft fort
muß. Ich bekomme sehr viel in Baireut zu thun, da ich hier vor
Menschen und Freuden gar nicht recht ins Schreiben
kommen kann,
blos ins Lesen. — Du bist gar zu sparsam,
meine gute Seele; und
hast bei mir überhaupt keine
Vorrechnung nöthig. — Den Kauf der
Schnupftücher für die
Magd überlass ich dir recht gern. — Kaufe
ja kein
Getraide; es muß über alle Maßen fallen. — Die Imhof
kam mir noch nicht vor. — Die Menschen hier bessern
mich, oder
wecken vielmehr mein Bestes; Scherze, wie ich
im verdorbnen
B[aireut]
wol gegen Weiber gewagt, wären schon für Männer
auffallend. Und wie hoch steht und stellt vollends
Sophie Paulus!
Sie und du wären innigste Freundinnen. Sie lebt
nur bei der Mutter,
nie für außerhalbDie
Paulischen fand ich fast in keinen Zirkeln, nicht einmal bei der
Wasserfahrt.
, ob sie gleich Klavier so spielt wie in B[aireut]
Eck. Sie trinkt Kaffee, Thee, Wein, Milch —
nicht, nur Wasser;
Kochen, Klavierspielen, der Mutter-Vorlesen sind ihre 3
Tagräume.
Ich höre vom kleinen tollen Bruder, daß sie mir
Geschenkchen für
unsere Töchter mitgeben will. —
Die Kalb erdrückt mich mit Aufträgen. — Schreibe recht
bald
und viel (nur von fremden Briefen gib blos Auszug) und
kümmere
dich nicht um mein zweifelhaftes Bleiben;
alles kommt mir richtig
nach. — Auch diese ganze Woche
ist wieder mit Einladungen besetzt.
— Morgen geht
dieser Brief ab; und doch fang ich morgen einen
neuen an
dich in freien Absätzen an. Geh es dir nur recht wol,
geliebte Karoline. Wir wollen schöne Jahrzeiten durch uns erleben,
wiewol ja auch die vorigen es gewesen!
N. S. Nach Karlsruhe geh’ ich nicht. — Retourfuhren werden
hier ausgeklingelt.
How to cite
Jean Paul - Sämtliche Briefe (statisch), herausgegeben von Hanna und Ronja, LaLe 2025 (https://acdh-tool-gallery.github.io/jean-paul-briefe-static/VII_301.html)