Von Jean Paul an Josepha Charlotte von Lochner. Bayreuth, 28. April 1815.

Zum TEI/XML DokumentZur originalen Webseite

Brieftext

Kopie
Baireuth d. 28 Apr. 1815

Gnädige Frau! Gäb’ es keine höhere Pflicht als die der Dank
barkeit, so würd’ ich Ihren Wunsch mit Freuden erfüllen. Aber
Wahrhaftigkeit ist eine noch höhere. Zum ersten male in meinem
Leben müßt’ ich gegen eine edle Seele Wärme und Unabsichtlichkeit
heucheln, um jene zu einem Mittel meines Ziels zu verbrauchen,
gerade gegen eine Seele, der ich selber Dank schuldig bin. Ich müßte
also ihr Vertrauen und meinen Namen zur Lockspeise und Schlinge
meiner Absicht misbrauchen. Denken Sie sich, wie ich vor ihr stände,
wenn sie mich erriethe. Sogar das Errathen ist wahrscheinlich. Aber
auch ohne dieses, und sogar, wenn ich durch dieses Mittel das Un
wahrscheinliche wirklich durchsetzte, würde ich es nicht thun, weil ich
nie auf diese Weise täuschen kann und darf. Dazu kommt vollends
auf der andern Seite, daß meine Einmengung als die eines entfernten
bürgerlichen Privatmannes in eine so bedeutende Entschließung eine
wahre unschickliche Anmaßung, ja Beleidigung scheinen müßte, oder
eine grobe Predigt, die die bewußte Person erst an ihre Pflichten
erinnern wollte. Heb’ ich denn durch meine Worte die Gründe auf,
die sie zu ihrem Zögern bestimmen?


Wäre vollends Ihr Verdacht über die Ursachen der Zögerung
gegründet — wiewol ich andere muthmaße —: so hälfe kein Brief
und kein Zudringen und Zureden, geschadet aber könnte damit
werden.


Ich bitte Sie daher überhaupt nicht eifrig anzudringen, sondern
lieber — um am Ende nicht das Ganze zu verlieren — Zeit aufzu
opfern, zumal da die Zeit am leichtesten den bewußten Verdacht zer
stören kann. Erstürmen läßt sich hierin nichts.


Bedenken Sie noch das Schwanken der jetzigen großen Welt
verhältnisse, welches entschiedene Entschlüsse erschwert und verschiebt.


Durch Wenigthun werden Sie vielleicht am meisten thun, be
sonders gegen die von Ihnen vermuthete Besorgnis.


Ich und m[eine] Fr[au] grüßen Sie und alle Ihrige, besonders
die Fr. Gr[äfin] und H. G[eheim] R[ath] v. M[ann]. Leben Sie
wol und suchen Sie das Erdenglück nicht in Einem Ereignis oder in
Einem Menschen.

Ihr etc.

Der Sicherheit der Ankunft wegen hab’ ich nicht frankiert.

Textgrundlage

Jean Pauls sämtliche Werke, Historisch-kritische Ausgabe. Dritte Abteilung, Band 7. Hrsg. v. Eduard Berend. Berlin: Akademieverlag, 1954.

Kommentar (der gedruckten Ausgabe)

K 1: Fr. v. Lochner in München 29 Apr. Abschrift hat Emanuel. (nur diese Überschrift) *K 2: Apelt.

In Ermangelung der Lochnerschen Briefe ist nicht zu erkennen, worauf sich der Brief bezieht. 20, 18 Gräfin: Hirschberg, geb. v. Loch ner, s. Bd. VI, Nr. 831. Mann: Frau von Lochners Schwiegersohn, s. Bd. VI, Nr. 848.

How to cite

Jean Paul - Sämtliche Briefe (statisch), herausgegeben von Hanna und Ronja, LaLe 2025 (https://acdh-tool-gallery.github.io/jean-paul-briefe-static/VII_51.html)