Von Jean Paul an Caroline Richter. Dinkelsbühl, 6. Juni 1819.
Brieftext
Endlich, meine geliebte Karoline, bekomm’ ich wenigstens bis
zum Mittagessen Zeit, zu schreiben, nachdem ich schon in 4 Wirths
häusern das Papier vergeblich für dich
hin[ge]legt. Heute Nachts in
Anspach fuhr mir der Gedanke durch den Kopf, wieder
umzukehren,
so sehr hat der Endesche Freitags
Kobold mich gestern und vor
gestern in jedem Wirthshaus und sonst
geknebelt und gezwickt. In
Erlangen kam ich so spät an, daß ich dir keinen Brief
schreiben und
Kanne und Schweigger nicht sehen
konnte. Überall verfehlt’ ich
die rechten Gasthäuser, nur das gegenwärtige
herrliche ausgenom
men. Auf dem Wege nach Anspach fuhr ich
¾ Stunden lang unter
einem Donner- und Hagelwetter fort. Eine Regenwolke und
ein
Paar Donnerschläge begleiteten mich bis an die
Stallthüre des
Stalls, den man den schwarzen Adler nennt und
den Enzel mir als
einen Gasthof empfahl und zwar als den besten. In
keinem Stock
werke waren Möbeln; in
meinem Kämmerchen 2 Treppen hoch
2 Stühle; kein Kanapée und keine Kommode; und rund um mich
unter dem finstern Balkenwerk Gesichter wie Spitzbuben, worunter
der Wirth, der alles seit einigen Monaten erst ohne Möbel
ge
pachtet, auch gehört.
Einige hübsche weibliche Gesichter begegneten
mir bei dem
Eintritte; von denen ernährt sich das noch unverheira
thete Wirthspaar. — Bei Lenz war ich
¾ Stunden. Künftig das
Mehre, so wie alles Wichtige und Weite erst im Briefe
kommt,
den der Kutscher mitbringen soll. Dieser ist der
trefflichste, ausge
bildetste,
redlichste, den ich je gehabt; er war 10 Jahre Bedienter
bei
Imhofs und überall findet er alte Freunde unter hohen
Herr
schaften wieder. Ihm verdank’ ich die
äußern Sonnenblicke auf
dieser stoßenden und dunklen
Wald-Fahrt. — Heute ging an Himmel
und Erde alles lichter zu
und ich sah in einem fort meine Odilie am
Altare, die mir (so wie du) etwas von diesem
Hochfesttage schreiben
soll. Morgen hoff ich wird der äußere
Himmel mich nicht in meinem
innern umwölken, wo ich in Einem
fort dich ausehen will. — Ich
muß eilen; ich bin in
Post-Angst, und habe ohnehin die Qual, daß
der Brief weit
unter allen meinen Versprechungen erst Mittwochs
ankommt.
Heute als am 3ten Tage nach der bösen Zwei hat der
Freitags
Plagegeist keine Gewalt mehr über mich.
Grüße Emanuel und Otto recht. Wie
oft mußt’ ich im Streit
berger Thale an diesen denken. — Verzeihe
diesen Schnellbrief,
meine Theuerste, und möge der belohnende
Gott über deinen mor
genden Tag so
walten, wie er sein muß, wenn er mich nicht in der
Ferne
quälen anstatt erquicken soll.
Richter
How to cite
Jean Paul - Sämtliche Briefe (statisch), herausgegeben von Hanna und Ronja, LaLe 2025 (https://acdh-tool-gallery.github.io/jean-paul-briefe-static/VII_527.html)