Von Jean Paul an Johann Gottfried Petrick. Bayreuth, 22. September 1810.
Brieftext
Die zweite Lesung Ihrer so schönen [?]
Blätter straft mich mit
verdienter Reue für mein bisheriges
Antworts Zögern. Ich über
gehe alle
Ursachen desselben, da keine davon in Ihren Blättern
liegt.
... Ihre Kraft und Tendenz ist poetisch, nämlich elegisch
poetisch — obwol auf die Flügel ziemlich
viel Abendthau des Lebens
gefallen sein mag, den Sie da
abschütteln müssen, wo er nicht
schimmert — .... Bilden Sie
sich der elegischen Gattung zu und
erheben Sie den Regen des
Lebens zum Regenbogen der Dicht
kunst; nur
ist eben dazu die heitere Seele nöthig (ohne Sonne gibts
keine Iris); und ich würde Ihnen gerade Dichter ganz verschiedner
Gattungen zu lesen rathen, elegische aber am wenigsten.
Der
Dichter nährt die von der Natur in ihn gesäeten Kerne
am besten
nicht wieder mit ähnlichen Kernen, sondern durch
alles Entgegen
gesetzte; der Komiker lese
Tragiker und umgekehrt ..... In dem
Hauptvorzuge des
Molltons stimm’ ich mit Ihnen. Sogar in
Kriegsmärschen, z. B.
der Franzosen, thut er beinahe gräßliche
Wirkung, Tod, Mord, Sehnsucht und Jauchzen parend. Ich
hätte
aber noch mehr hinzuzufügen als ein Blatt — das man
schon wieder
umkehren muß. Moll wirkt auch durch den Luxus
des Wechsels
oder der Antithese, durch die doppelte
Leiter auf und ab. Moll
ist nie ohne Dur gedenklich,
gleichsam ohne seinen Leib. Diese Ton
Antithese fehlt dem reinen aber festern Dur, das kein Moll bedarf.
Zur Erklärung Ihrer Bemerkung, daß die besten
Komposizionen
immer in Moll sind, nehm’ ich noch, daß von
Moll aus, wie aus
einem Gartensaale, alle
enharmonische und andere Gänge mehr
offen stehen als aus
Dur... Der Himmel sei Ihnen so günstig
im Leben als ers vor dem Leben
gewesen, indem er Ihnen Sie
mitgegeben. Bleiben Sie nur dem
Guten mit Verzicht auf nächsten
Lohn getreu: der spätere
kommt doch.
How to cite
Jean Paul - Sämtliche Briefe (statisch), herausgegeben von Hanna und Ronja, LaLe 2025 (https://acdh-tool-gallery.github.io/jean-paul-briefe-static/VI_356.html)