Von Jean Paul an Christian Otto. Bayreuth, 13. Januar 1811.
Brieftext
Guten Morgen, Alter! Hier mein Aufsätzchen für Primas.
Sollt’ ich über sein Alter (71 Jahr) irren, so bessere
esHab’ ich etwas über einander gesetzt, so streich eines
davon. Daß Salomon
40 Jahr regierte, brauch’ ich wol nicht in der Note zu
sagen?
.
Von Cölestin hat mir bei weitem der erste Theil mehr
gefallen
als der zweite; was am meisten
daher kommt, daß er nicht mehr
spricht
und mithin ohne die vorige Selbstironie. Da man ferner
nach
dem ersten den Charakter und dessen Leben nur als
Holspiegel
bild karikierender
〈idealisierender〉 Selbstironie kannte: so paßt nach
her das Spiegelbild wirklichen Lebens nicht gut; und noch
weniger
die ernsthaften Bemerkungen, er sei den
Kleinstädtern lächerlich
vorgekommen. Ja, wenn ers selber mit
dem größten Erstaunen
erzählte! Auch nimmt man an seinem wirklichen Schicksal im
zweiten Theile so wenig Interesse, als am wirklichen
Schicksale
eines Traums. Lasse diesen also weg, oder, da
so viele gute all
gemeine
Bemerkungen darin vorkommen, lass’ ihn selber erzählen
und
bringe die Bemerkungen etwan als eigne Noten an. Eine
Haupt-Note hast du überhaupt zu machen, (kannst sie sogar ihm
selber in den Mund geben,) nämlich daß er nach der (damaligen)
Ästhetik selber ein lebendig herum gehendes Gedicht und athmendes
Selbstepos sein wolle; denn zur Zeit seiner Entstehung war
deine
Satire auf die stoflose Darstellung deutlicher als
jetzt. Eine ähn
liche Note mache bei Geschmack. Weitläuftige oder zu kalte Aus
spinnungen hab’ ich durch Parenthesen mit
Rand-Nummern an
deuten wollen; das mir
besonders Gefallende durch steilrechte
Striche. — Zu
lesen ist oft das Eingebesserte schwer, zumal da
deine
jetzige Dinte es für unsittlich hält, die Unschuld des Papiers
anzuschwärzen. Den komischen Namen Herbelsamer solltest du
öfter anbringen.
[Folgen Einzelbemerkungen]
So viel über den 1ten Theil, wobei ich noch manches mag
ver
gessen haben. Ich setze meinen
Titel zum Pfande, daß du bald
einen Titel für das Buch
bekommst von mir.
Heute sehen wir uns wieder. Den Emanuel hab’ ich das
vorige
mal nach der langen Trink-Session glücklich nach Hause
gebracht,
indem ich ihn fest nicht am
Vorder-sondern am Hinterarme führte.
Auch wartete ich zum
Überfluße ab, bis er seine Hausthüre auf
gebracht hatte; er dankte mir aber sehr dafür. Wie ich selber nach
Hause gekommen, weiß ich aus Mangel eines Zeugen, weniger
genau.
How to cite
Jean Paul - Sämtliche Briefe (statisch), herausgegeben von Hanna und Ronja, LaLe 2025 (https://acdh-tool-gallery.github.io/jean-paul-briefe-static/VI_439.html)