Von Jean Paul an Caroline Richter. Erlangen, 14. Juni 1811.
Brieftext
Meine gute Karoline! Endlich bin ich ungetrübt heiter; denn
ich bekam heute dein lang gewünschtes Blatt. Aber ich wußt’ es
schon aus meinen immer zutreffenden Ahnungen, daß meine
hiesige
stille unschuldige Heiterkeit, an der kein Gott
etwas auszusetzen
finden könnte, kein Gewitter der schönen
Tage mir zuführen würde.
Habe für jedes Herzens Wort und für
die Herzens Thaten in meiner
Abwesenheit Dank. Vorigen
Sonntag erschrak ich ordentlich, daß
ich deinen
Geburtstag vergessen; und ich fand ihn im Kalender
unter dem
Namen Lucretia, wodurch
[ich] mir ihn immer gemerkt
als Aehnlichkeit. Nach meiner Rückkehr wollen wir ihn beide
an
einem bestimmten Tage (und den 27ten Mai dazu) nachfeiern.
Gäbest du genauer Acht, so
hättest du sehen können, daß ich den
Ring in der
letzten Maiwoche am kleinen Finger der rechten Hand
getragen.
Das Herz soll nächstens auch einmal seinen Festtag
haben.
—
Ich will jetzt alles ohne Ordnung schreiben, und das Ungleich
artige nur durch Gedankenstriche absondern. Lies unsern
Freunden
vor was du willt, so wie du aus meinen
Briefen an sie zu lesen
hast. — Ich könnte mich freilich auf
geselligen Wogen umher
treiben (jeder kommt mir hier liebend
entgegen), aber ich habe so
viele Bücher vor mir, daß ich den
Morgen mir durch allerlei Winke
einsam gemacht.
Unbeschreiblich vergnügt bin ich in den hohen
Zimmern — keine
einzige alte Bequemlichkeit entbehrend — Abends
einsam lesend
und essend mit meinem Hunde. Noch immer hab ich
seit Maxens Abreise abends nichts Warmes gegessen, nur Käse
und Preßsack. Freilich freu’ ich mich auf deine
Abendsuppen,
Kartoffeln u.s.w. Ja auch auf die
Mittagskost; denn obgleich das
diner 30 kr. kostet und allerlei gute Gerichte kommen (doch
zieh ich
fast die Sonne vor), so wäre
mir doch Ein derbes altväterliches
Gericht von dir lieber. Indeß meinetwegen läßt Toussaint sogar
Kartoffeln braten zuweilen. — Die Magd kauft mir (ohne
mein
Erinnern) für 4 kr. Milch, bringt mir den
abgeschöpften Rahm,
woran ich 2 Tage habe; die Milch säuft
der Hund und ich. Die
2 Loth Kaffee kosten 10 kr. Von meinem
am 1 Pfingsttage ge
kauften 1 Groschen
Brod hab’ ich noch viel. Mittags trink’ ich
zum vielen Essen ¼ Bouteille Wein; das
zweite Viertel hebt
mir Toussaint auf. Entweder dieser Wein oder das treffliche
Bier (hier trink ich noch einmal so viel als in Bayreuth) oder die
Luft oder der ungemein seltene Rosoglio-Trank oder das
wenige
Arbeiten oder alles zusammen macht mich so gesund
wie ich seit
Jahren nicht war; Nachts keinen Wasserdurst, am
Morgen keine
Düsterheit, kein Zittern, Erbrechen
ohnehin nicht. Verzeihe dieses
Eingehen in körperliche
Kleinlichkeiten; aber du liebes Eheweib
nimmst ja eben darum
so vielen Antheil daran als ich an dem
Bulletin deiner geringsten Körperlichkeiten nehmen würde. —
Die
Malzen grüßt und liebt dich herzlich und wünscht dich so
sehr her.
„Hier, sagt sie, sei Logis und alles ⅓ wolfeiler;
keine Assembléen
„Jägerei wie in Bayreuth; heute kommt eins, morgen eins;
man
„sei halb auf dem Lande.“ In der That fand ich sie im
Garten
mit 3 Damen, wozu nachher 1 Franzose kam; kein
Gebacknes —
ein paar Früchte — mir Bier. So gestern in Walthers Garten,
wo viele Männer, nur Thee — ein Paar trockne gebackne
Schnitz
chen von einem Bäcker — kein
Kuchen — kein Rack — kein Wein —
nur Bier — — und lauter
Lust. Das doppelte Gebäck und den Rack
(wenigstens für
Weiber) müssen wir künftig auch abkommen
lassen. —
— An die Monts hab ich schon gedacht; morgen werd’ ich
sie
sehen und abends zurück kommen. — Der Erlanger Gegend
hab’
ich Unrecht gethan; Mehmel hat mir
köstliche Umgebungen gezeigt,
doch aber keine bayreuthischen. Wahrscheinlich komm’ ich erst
Ende
der künftigen Woche (lasse daher abends immer die Schlüssel
in
deiner Abwesenheit bereit liegen). Ich habe noch so viel
zu lesen.
Eigentlich leb’ ich so wolfeil wie zu Hause, 2 fl.
Wochenzins ab
gerechnet, die ich
aber in Bayreuth auch verschwenden würde bei
Rollwenzel oder sonst. — Höfe und Weiber such’ ich jetzt
weniger
als sonst; am Ende aber, deines Briefes wegen, geh’ ich doch
zur
Marggräfin. Mich reuet nur die Morgen-Unterbrechung.
Mich
lieben hier alle meine Gesellschafter; noch keinem hab ich
eine un
angenehme Minute gemacht,
ihm höchstens eine genommen. —
Toussaint verspricht mir eine Rétour-Fuhre. Überhaupt wäre, da
jetzt die Briefe entweder über Nürnberg oder Bamberg laufen, es
unbequem, sich in Bayreuth einen
Wagen zu bestellen. — Wagner
treibt zwar seine Rechnung sehr hoch; aber der arme Max muß
ja auch mit für den Sitz im Wagen bezahlen. — Grüße
Otto
und meinen Emanuel, der mit mir an
Einem Tage schrieb. —
Nicht einmal zum Grafen Soden mag
ich gehen, ob ich ihn gleich
hier gesprochen und er mich in Bayreuth besucht. — Hast du etwas
mir nicht Liebes gethan oder erfahren: so schreib’ es mir
lieber,
damit ich es unter weges verdaue und den
himmlischen Abend des
Wiedersehens geheilt durchlebe. — Soll
ich der Magd etwas mit
bringen?
Schwerlich. Oder was alsdann? — Ach die Post-Sperre
naht. Und
ich hätte meinem lieben treuen Herzen, das so sehr sich
jetzt
abarbeitet und mich so schön wieder liebt, so viel noch zu sagen.
— (Und es soll auch im nächsten Briefe gesagt werden.
Himmel!
wie oft dacht ich mir die überwältigende
Entzückung, wenn so
Nachts nichts weiter als dein Gesicht mit
den unbeschreiblichen
Liebes Augen und dem Liebesblick, der
sich in ungewöhnlichen Linien
auch um das Auge herum zieht,
mir plötzlich erschiene wie eine
Gestalt aus der Luft.
Freilich wär’ es zu viel. Aber das Viele
bleibt mir doch,
denn ich komme und du lebst. Es gehe deiner Seele
wie
meiner!
N. S. Du solltest meine Palingenesien lesen, wo ich dieselbe
Reise nach Erlangen
gemacht in der Erdichtung einer Heirath —
Ferner meinen bevorstehenden Lebenslauf in „Jean Pauls Briefen“.
How to cite
Jean Paul - Sämtliche Briefe (statisch), herausgegeben von Hanna und Ronja, LaLe 2025 (https://acdh-tool-gallery.github.io/jean-paul-briefe-static/VI_493.html)