Von Jean Paul an Friedrich Heinrich Jacobi. Bayreuth, 13. August 1811.

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Brieftext

Bayreuth d. 13. August 1811

Geliebter Heinrich! — Der Überbringer dieß, der hiesige katho
lische Pfarrer Oestreicher, ein im Charakter wackerer und im Geiste
weit über den Katholizismus hinaus gebildeter Mann, wünscht sich,
nachdem du ihm schon viele angenehme Stunden geschenkt, noch
eine halbe dazu zu stehlen. Wahrscheinlich begleitet ihn, in ähn
licher Absicht, der Kreisrath Kraser, den du vielleicht aus seiner
Erziehungslehre „Divinitaet etc.“, worin er die Gottähnlich
werdung zum Prinzipe des Erziehens macht, theoretisch auf einer
so guten Seite kennst als er praktisch noch mehr in den Schulen
Bambergs bekannt ist.

Mit Freuden las ich im Morgenblatte von der endlichen Er
scheinung deines neuesten Werks, welches mir sehr noth thut und
sehr wol thäte, ungeachtet ich eben an einer Kunst, stets heiter zu
sein, arbeite. Zur Messe kommt bei Schrag in Nürnberg meine
Lebensbeschreibung Fibels heraus, im Geschmacke des Fixlein und
Wutz; im künftigen Jahre kommen die neuen vergrößerten Auflagen
der Vorschule und der Levana. Wir würden beide gewinnen, hättest
du etwas von meinem fleißigen und ich von deinem philosophischen
Wesen. Im Spätjahr des Lebens sollte man wirklich mehr geben,
weil man mehr hat; und nicht das Wenige, was das kleinere Feuer
an der Form etwan nicht ausbrennen kann, als einen Grund vor
wenden, die Fülle des ganzen Gefäßes zurück zu behalten. Und
zuletzt bleibt doch jedem Genius auch im Alter seine angeborne
Form; die von zufälliger Anspannung gewonnene oder irgend eine
angebildete läßt sich über großen Inhalt schon entbehren. Ich
sage dir freilich nichts als was du weißt; aber der Mensch hat so
oft nöthig, das zu hören was er schon weiß, so wie man den andern
um einen Rath fragt, um den eignen zum zweiten male zu hören
und zu bewähren.


Die Sonne der Philosophie steht jetzt im Zeichen des Thomas
tags und wirkt also bei aller ihrer Nähe (über eine ½ Million
Meilen ist am besagten Tage die physische uns näher) mit weniger
Wärme und Glanz. Mögest du durch dein Werk diese Sonne sich
wieder ein wenig weiter von der Erde himmelwärts entfernen
lassen; d. h. gib uns wieder Lust zum Philosophieren. Ich habe
lange kein neues philosophisches Buch gelesen. — Gib dem Pfarrer
die Nachricht — wenigstens mündlich — mit, wann deines gewiß
erscheint.


Lebe wol, Guter! und bilde dir einmal versuchs- und tausch-weise
ein, gesund zu sein. Crede et manducasti. Ich grüße dich mit
brüderlicher Liebe.


Dein
Jean Paul Fr. Richter

Textgrundlage

Jean Pauls Sämtliche Werke, Historisch-kritische Ausgabe. Dritte Abteilung, Band 6. Hrsg. v. Eduard Berend. Berlin: Akademieverlag, 1952.

Kommentar (der gedruckten Ausgabe)

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Caspar Oesterreicher (? — 1839), kath. Stadtpfarrer; vgl. 48, 7 und FB Nr. 2. Kraser: richtig Graser; vgl. Nr. 868†, IV. Abt. (Br. an J. P.), VI, Nr. 161 und I. Abt., XII, 74. Im Morgenblatt vom 29. Juli 1811, Nr. 180, wird aus München berichtet: „Der ehrwürdige Jacobi hat ein Werk vollendet, welches das Resultat seiner philosophischen Forschungen enthält und das Werk seines Lebens krönen wird.“ (Es erschien 1812 u. d. T. „Von den göttlichen Dingen und ihrer Offenbarung“.) Sonne der Philosophie: vgl. I. Abt., XI, 19.

How to cite

Jean Paul - Sämtliche Briefe (statisch), herausgegeben von Hanna und Ronja, LaLe 2025 (https://acdh-tool-gallery.github.io/jean-paul-briefe-static/VI_526.html)