Eintrag in ein Stammbuch. Von Jean Paul an Thomas Johann Seebeck. Bayreuth, Mai 1812.

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Brieftext

[ Bayreuth, 11. Juli 1812? ]

Räthsel.


Wo sind auf einmal 1) die schönsten Rosen ohne Dornen 2) die
Perlen vom reinsten Wasser 3) und der Juwel vom schönsten Feuer
zu finden?


Antwort:

  • 1) Auf den schamhaften Wangen,

  • 2) in den gerührten Augen,

  • 3) im warmen Herzen einer guten Jungfrau.

  • Liebe lustige Lustspielerin! Jetzt kannst du dein Theater noch
    tragen. Künftig trägt dich und dein Spiel das Theater des Lebens.
    Aber auch dann sei dein Spiel so froh und so unschuldig wie jetzt.


    Wenn einmal dir, liebe Adeline, dein guter H. Vater meine
    sämmtlichen Werke vorlieset: so wirst du darin von einer trefflichen
    Adeline hören und du wirst denken, ich hätte dich kopiert —: bis
    dahin also kopiere du sie.

    Wenn ich einmal, liebe Rosalie, dich Sie nenne und du mehr
    gewachsen bist, so wie dein Stammbuch auch: so bringe mir es
    wieder, damit ich mich noch einmal hinein schreibe und sage: be
    halten Sie in gütigem Andenken


    Ihren
    J. P.

    Luise (im Altfranzösischen Clotilde, so auch im Hesperus) ist
    ein wichtiger Name. Das schönste Luisenstift ist das Zimmer einer
    guten Mutter. — Bleiben Sie immer dieser beiden Gaben würdig.


    Jetzt bist du, liebe Kleine, ein Veilchen — dann wirst du ein
    Vergißmeinnicht — dann eine Lilie — dann eine Rose! Möge
    immer ein warmer Himmel über deinem Blühen stehen.


    Textgrundlage

    Jean Pauls Sämtliche Werke, Historisch-kritische Ausgabe. Dritte Abteilung, Band 6. Hrsg. v. Eduard Berend. Berlin: Akademieverlag, 1952.

    Kommentar (der gedruckten Ausgabe)

    K: SBB, Nachlass Jean Paul, Fasz. 11a, Dichtungen, 2. Bd., Nr. 393, mit der Überschrift: Seebeck Stammbuchblätter (numeriert). i: Papierdr. 2, 163. 266,16 schamhaften] aus schönsten

    Das Original des Stammbuchblatts für Luise Seebeck ( 267 , 1—3 ) ist jetzt im DLA, Marbach. Es ist vom 11. Juli 1812 datiert, vermutlich also auch die fünf anderen; sie wären also hinter Nr. 658 zu stellen gewesen. Die Familie Seebeck übersiedelte im Sommer 1812 nach Nürnberg. Nach der Angabe von Bernhard Lepsius in seiner Ausgabe der Tagebücher von Lili Parthey, Berlin und Leipzig 1926, S. 140, hießen die sechs Töchter: Emilie, Luise, Rosalie, Adeline, Sidonie, Malwine. Das zweite Blatt ist in i überschrieben: „Für Emilie S.“ Adeline: s. auch in Jean Pauls Biographischen Belustigungen. Luisenstift: vgl. zu Nr. 453.

    How to cite

    Jean Paul - Sämtliche Briefe (statisch), herausgegeben von Hanna und Ronja, LaLe 2025 (https://acdh-tool-gallery.github.io/jean-paul-briefe-static/VI_645.html)