Von Jean Paul an Emanuel. Nürnberg, 22. Juni 1812.
Brieftext
Nur Einiges, mein Guter, da wir uns doch bald sehen und hören.
Ich bitte Sie, mir einen Kutscher zu schenken
[!], der Sonnabends
den (27ten) recht früh abfährt zum Abholen auf den
Sonntag, damit
ich noch einpacken und — da er Säcke für
Mehl-, Gries- und
Dünkel-Wünsche meiner C[aroline]
mitbringen soll — noch ein
kaufen kann. Ob hier oder in B[aireuth]
der Mauthzettel zu lösen,
werden Sie schon wissen und machen.
Die Erwartung Ihres gehofften Briefs verzögerte die meinigen.
C[aroline]
soll noch Freitag Vormittags an mich schreiben, um
mir die Gewißheit des Abholens zu sagen. — Der Witz, den
Sie
wie das Schicksal in meine Beschreibung des
R[eichs] Adlers gelegt,
ist überraschend. — Die Ungerechtigkeit Ihrer
Nicht-Entschädigung
für Einquartierung ist so groß, sogar
in B[aireuth], daß
sie un
möglich ist und daß wirklich nur
ein Verspäten nach Stadtvierteln
es erklären kann. Hier, in
200 Gassen, merkt man fremde Truppen
kaum; aber selber die
Nürnberger wundern sich über das Zuströmen
aller Richtungen gerade nach B[aireuth].
Das Geschick, das mich unsichtbar beglückt, wollte, daß mein
Brief an einem Tage zu Ihnen kam, den mein Inneres öfters
im
Jahre feiert als Sie denken. Einsamkeit an einem
solchen Tage
ist die einzige würdige Selbstfeier desselben, damit der
Mensch
sinnig und ruhig und weich auf den Weg hinter dem
Rücken und
auf den vor dem Auge messend blicke. So hass’ ich
auch alle ge
schäftige oder
lustige Unruhe am letzten Tage des Jahrs. Der ge
brechliche arme Mensch sollte solche Zeit-Anhöhen als die
Spindeln
betrachten, an welche er die Fäden eines neuen
Gespinstes legt.
Alles Wichtige wird einsam gethan, das
Nichtige gesellig. — — Ich
bringe Ihnen für Ihren stillen
Sabbat Tag keinen Nachwunsch;
denn nur Ihr Herz kann
ihn ganz erfüllen.
Was ich von meinen Besserungmitteln sprach, besteht garnicht
in Vorsätzen, oder gar in sehr feurigen — denn eben
letztere
erkalten und erkälten am ersten — sondern in Übungen, z. B.
einen Tag lang fort,
wodurch ich mir zugleich die Sache zur
höchsten Vernunft-Anschauung 〈Hellmachung〉 oder Klarheit
bringe
35ohne den geringsten Enthusiasmus. Die Vernunft wirkt
länger als das Gefühl und erleichtert mehr, weil sie bleibt, wenn
dieses geht.. Man muß sich nicht alles auf einmal vorsetzen. Man
muß kleine Fehler zerstören und sich in dieser
Selbstherrschaft ge
fallen und einüben, ehe
man größere wegtreibt; und doch ist man bei
allem diesem nur
erst im Vorhofe des Allerheiligsten und kaum ge
rüstet, um sich auf einmal aus dem ganzen alten Adam zu
häuten.
— Leben Sie recht froh, Emanuel!
How to cite
Jean Paul - Sämtliche Briefe (statisch), herausgegeben von Hanna und Ronja, LaLe 2025 (https://acdh-tool-gallery.github.io/jean-paul-briefe-static/VI_654.html)