Von Jean Paul an Christian Otto. Bayreuth, 22. Mai 1808 bis 23. Mai 1808.
Brieftext
Lieber Otto! Über das Schweigen schweig’ ich. — Morgen
geht
deine Finanzen-WürdigungDer Titel ist, wenn du keinen
nachschickst, über das ..... Finanzwesen. 3 Ld’or hab’ ich verlangt, weil er mir immer alles bewilligt und weil
jeder Autor herunter muß mit Fodern.
an Cotta ab, die ihres möglichen
Einflußes wegen mir nicht schnell genug erscheinen kann.
Kein
Wort hab’ ich ausgestrichen — ausgenommen 2 Schreibfehler
buchstaben, Dividente und Caracter —; erstlich gabst du mir kein
Recht dazu, zu Schnitten die oft ja ins organische Leben zu tief
eingreifen; zweitens ists die Frage, ob man für die
Deutschen zu
weitläuftig (zu kurz wol) sein kann. Jeden einzelnen Satz
drückst du
auch meistens mit der höchsten Kürze aus; nur — dieß ist dein
Fehler —
bringst du ihn, so wie er dir immer heller wird, immer
mit
den neuen Helligkeiten wieder vor, oft mehrmals. Jedem aber
muß es so gehen, der es weniger geschickt macht als ich, der ich ins
Schmierbuch alle möglichen Entwicklungen vorher hinwerfe
und
dann ruhig die beste auslese oder
zusammenpresse, um daran wieder
Welt und Nachwelt zu
entwickeln, oder eigentlich (um bescheidener
zu sein) blos
zu belehren.
— Im Winter hätt’ ich oft gewünscht, du wärest mir auf der
Gasse oder in der Harmonie aufgestoßen; du hättest dann
auf meiner
linken Achsel mein festbleibendes Eichhörnchen
gesehen, das nicht
beißt und nicht pißt (denn letzteres
thuts jeden Morgen um 6 Uhr).
Gleichwol halt’ ichs jetzt
für gewagt, daß ich das Thier, da ich
bei Dobernek einen Sohn aus der Taufe hob, in der Tasche
hatte,
in die ich während der Taufrede mehrmals greifen mußte, um
es mit
dem Schnupftuch einzubauen 〈niederzuhalten〉;
denn während ich
meinen armen leider seeligen Pathen in den
Armen hielt, hätt’
ich durchaus nichts machen können, wenn
das Thier herauf auf meine
Achsel gekrochen wäre,
vielleicht zur allgemeinen Stöhrung des
Taufaktus und
Ernstes. In einem Sack an meinem Kanapee schläft
das
Hörnchen. —
Meine Friedenspredigt (mit unzähligen Druckfehlern) sagt dir
einige Bekehrungen in mir von Buchholz. Und doch hat mich die
Zensur wenn nicht entmannt 〈verschnitten〉, doch
beschnitten zwei
mal. Es ist jetzt eine
verdammte Zeit für einen, der über sie lachen
will.
„Die Beichte des Teufels bei einem Staatsmanne“ absolvierte
der Zensor des Morgenblatts nicht; doch kommt sie jetzt
mit des
Feldpredigers Attila Schmelzle
Reise nach Flätz heraus, vielleicht
mein
ausgearbeite[t]ster
regelrichti[g]ster Spaß ohne die
geringste
Ausschweifung oder Selbsteinmischung; man
müßte denn — und
man hätte Recht — die unten auf jeder Seite stehenden Noten
(bloße
Einfälle ohne allen Text-Bezug) dafür halten wollen.
Michaelis kommen 2 Bändchen vermischte (alte und neue) Schriften;
die Badreise eines D.
Katzenbergers soll in dir den kleinen Sprech
Zynismus deines alten Freundes, der so oft mit dir über
den Ekel
scherzte, etwas wieder (hoff’ ich) auffrischen.
Wahrscheinlich kommt
auch Michaelis mein Fibel heraus; nämlich die Biographie eines
gewissen Fibels, der das
fränkisch-sächsische Abcbuch gemacht, das
mit den Kupfern und Versen: „ein Affe gar poßierlich ist
etc.“ —
voran, ausgegeben wird. Eine Satire auf die
Lebensbeschreiber
Kants u. a. Ohne den Krieg wäre meine Levana gewiß schon
wieder aufgelegt geworden; auch hab’ ich mir bei ihr wie
bei [der]
Vorschule die Nachzahlung des 6ten
Ld’or bedungen; und von
Perthes hab’ ich diese auch schon bekommen. Sonderbar!
bei keinem
Buche fürchtete ich mehr das Urtheil und Schicksal als bei
dieser
Levana; so wie ich eben so hoffte das des Titans. Aber so über
rascht immer das Publikum, wenigstens
unangenehm. — In der
Heidelberger
L[iteratur] Zeitung helf’ ich
sehr mit rezensieren;
und ich werde überhaupt stark gesucht. Jetzt sollte Geld
unter den
Leuten sein; ich bekäme vieles davon.
Mein Inneres übrigens ist jetzt starr, trocken, kalt; der Frühling
und alle seine Sternenhimmel haben mir nichts an; ich
bleibe starr
kalt, bis das große
Welt-〈Europa’s-〉 Spiel gewonnen ist. Dieß
hält mich indeß nicht ab — denn es spornt mich an —, zum
All
Besten mit Einzel-Kräften feurig
mit zu wirken. Welchen die Zeit
niederschlägt, der richte
zuerst diese wieder auf und dann sich mit;
wenn die
Vielheit der Teufel etwas vermag, so noch mehr die der
Engel; noch mehr, sag’ ich; denn die menschliche Natur gibt 10 Engeln
das Übergewicht über 100 Teufel.Denn wäre dieß nicht: so wäre bei der Überzahl der Schwachen und Dummen und Schlimmen längst die Menschheit eingesunken anstatt
gestiegen.
Was werden wir einmal einander — eigentlich du — auf und ab
gehend und zu unmäßig dabei trinkend, nicht zu sagen
haben? Du
kannst jetzt — und wenn du deinen halben Kopf zu
Hause lässest —
überall den beliebtesten
aufgewecktesten Gesellschafter spielen blos
durch Erzählen.
Ich werde wie ein nasser begoßner Hund dabei
stehen und
tropfen. — Dein schönes Glück hat mich nur erfreuet,
aber
gar nicht überrascht; und hättest du etwas von meinem kecken
Eingreifen ins Leben, du hättest jenes früher haben können. Ich bin
begierig, ob du nicht, wenn du kommst, als Weltmann mir
ähnlicher
geworden erscheinst; ich sollt es aber denken,
da dich die vornehmsten
Personen kühner hinaufgebildet.
Herzlich freu’ ich mich auf deine künftige Freude an meinen drei
durchaus unähnlichen, aber unverdorben aufknospenden
Kindern;
und es wäre mir schwer, deine Auswahl zu weissagen. Ach
wärest
du nur da! — Und doch kann ich nichts wünschen,
als was dein
künftiges Glück ausbauet. Laß ja in diesen entwaffnenden Zeiten
Griff
und Heft nicht fahren, sobald du einmal die Faust darin hast
wie jetzt! Auf Große verlass’ ich mich keine Minute länger
als meine
Gegenwart dauert; eine schwache Allmacht, da man
so oft zur
Thüre hinaus und fort muß, und wär’s nur, um das
zu pissen, was
man drinnen getrunken.
Ein Koffer voll Briefe an mich wartet auf dich; auch von deinen
hieher hab’ ich gehört, sie selber aber nicht; die
schlechtesten Christen
wissen jetzt mehr aus den Briefen der Apostel als ich und
Emanuel
aus deinen. Und doch ist Amöne
vielleicht weiter und kecker zu
Werk gegangen als du gewünscht; hundert Menschen, nicht
blos
hier, schon unterwegs durften jedes Wort von dir
lesen, das du auf
den — Umschlag geschrieben. Auch
außen solltest du dir gleich bleiben
und nicht für alle
Welt schreiben.
Nachschrift
Was half Groß-Quart? Ich habe doch nicht Platz genug für
meine Worte; — den hat blos der Bogengang in der
Eremitage.
Ich beneide dich um dein durchgearbeitetes Stück Leben
(nur den
Flucht-Anfang ausgenommen); wie ideen- und
kräfte-arm sind
dagegen 10 Stuben-Jahre! In deinem
Schicksale ist etwas — fast
wie in meinem —; nämlich ein
wachsendes Erhöhen und Vertiefen;
aber jede Tiefe
ist kleiner als die vorige, und folglich steigt die Er
höhung. Dieser Krieg sollte dir viel Vertrauen auf einen
freundlichen
Genius deines Lebens geben. —
Erkundige dich doch recht nach Hamann und schreibe von
ihm.
Du könntest gerade zu zu seinem natürlichen Sohne gehen
und ihn
von mir grüßen und fragen, wenn einmal
diese[s] grüne Gewölbe
des Geistes dem Publikum aufgethan wird; ich meine die
Sammlung
seiner opera.
Ich will mich auf nichts mehr besinnen; damit ich aufhöre. —
Liesest du das Morgenblatt?
Meine Frau grüßt dich herzlich — und ich auch; und wünsche
dir Freude als Balsam und als Nahrung.
How to cite
Jean Paul - Sämtliche Briefe (statisch), herausgegeben von Hanna und Ronja, LaLe 2025 (https://acdh-tool-gallery.github.io/jean-paul-briefe-static/V_530.html)