Nr. 2 Ministerrat (23. Juli 1914–22. November 1916)

Zum TEI/XML Dokument
Nr. 2Ministerrat, Wien, 25. Juli 1914

RS.Reinschrift; P. Ehrhart; VS.Vorsitz Stürgkh; BdE.Bestätigung der Einsicht und anw.anwesend (Stürgkh 26. 7.), Georgi, Hochenburger, Heinold, Forster, Hussarek, Trnka, Schuster, Zenker, Engel, Morawski.

  • I. Mitteilungen über den Konflikt mit Serbien.
  • II. Verkündung des Standrechtes bezüglich der im § 435 Militär-Strafprozessordnung für die Landwehr bezeichneten Verbrechen.
  • III. Au. Huldigungskundgebung des Ministerrates.
  • 4731 Protokoll des zu Wien am 25. Juli 1914 abgehaltenen Ministerrates unter dem Vorsitze Sr. Exzellenz des Herrn Ministerpräsidenten Grafen Stürgkh.
    I. Mitteilungen über den Konflikt mit Serbien

    I. KriegSerbienDer Ministerpräsident teilt mit, dass die serbische Note wenige Augenblicke vor Ablauf der gestellten Frist bei unserem Gesandten in Belgrad abgegeben worden sei3.

    Der Gesandte habe diese Note als unbefriedigend angesehen und demgemäß, seiner Instruktion entsprechend, Belgrad verlassen4. Schon vorher sei in Serbien die Mobilisierung erfolgt5. Se. Majestät habe inzwischen, von diesem Sachverhalte in Kenntnis gesetzt, die teilweise Mobilisierung für Heer und Landwehr sowie die Aufbietung des Landsturmes anzuordnen geruht6. Es seien sonach die Voraussetzungen gegeben, um die in der Sitzung des Ministerrates vom 23. Juli beratenen Ausnahmsverfügungen, für welche die Ah. Genehmhaltung, insoweit diese nach der Sachlage erforderlich erscheint, inzwischen erfolgt sei, in Kraft zu setzen7. Das Einvernehmen mit Ungarn hinsichtlich der Verlautbarung sei getroffen, die letztere werde am 26. d. M. erfolgen8. In gleicher Weise würden auch drei Verordnungen publiziert werden, welche der Minister für Landesverteidigung aufgrund des Kriegsleistungsgesetzes zu erlassen habe9. Endlich würden auch jene Verfügungen gleichzeitig statthaben, welche sich auf die Schließung des Reichsrates, die Einstellung der Sitzungen des Permanenzausschusses des Abgeordnetenhauses für die Sozialversicherung, die Schließung der Landtage und die Vertagung der landtäglichen Plenarausschüsse beziehen, Verfügungen, für welche die Ag. Ermächtigung gleichfalls bereits vorliege10.

    Der Ministerrat nimmt diese Mitteilungen zur Kenntnis.

    II. Verkündung des Standrechtes bezüglich der im § 435 Militär-Strafprozessordnung für die Landwehr bezeichneten Verbrechen

    II. MilitärgerichtsbarkeitStandrecht Der Minister für Landesverteidigung teilt mit, er habe eine Anregung des Kriegsministeriums in der Richtung erhalten, ob nicht für den Fall, dass von der Regierung Ausnahmsverfügungen erlassen würden, in den Gebieten, wo im Mobilisierungsfalle das Feldverfahren nicht eintreten wird, gegenüber allen den Militärstrafgerichten unterstellten Personen bezüglich der im § 435 Militär-Strafprozessordnung für die Landwehr bezeichneten Verbrechen das Standrecht kundzumachen wäre11.

    Diese strafbaren Handlungen seien die Verbrechen des Mordes, Raubes, der Brandlegung und der öffentlichen Gewalttätigkeit durch boshafte Beschädigung fremden Eigentums, in allen Fällen unter der Voraussetzung, dass die angeführten Verbrechen in gefahrdrohender Weise um sich greifen, so dass zur Hintanhaltung einer Schädigung der Disziplin, einer Gefährdung der öffentlichen Sicherheit oder einer weiteren Ausbreitung von strafbaren Handlungen, die die Kriegsmacht bedrohen, ein abschreckendes Beispiel notwendig wird. Der Minister für Landesverteidigung beabsichtige, und dies entspreche nicht nur den Intentionen des Kriegsministers, sondern auch dem vom ungarischen Minister für Landesverteidigung in Aussicht genommenen Vorgehen, das Standrecht in dem vom Kriegsministerium gewünschten Umfange nicht etwa zugleich mit der Erlassung der Ausnahmsverfügungen zu verkünden, sondern erst für den Fall des Eintrittes der gesetzlichen Bedingungen und der danach zu erweisenden tatsächlichen Notwendigkeit. Obwohl er nach § 435, Absatz 3 der Militär-Strafprozessordnung über die Notwendigkeit der Kundmachung des Standrechtes für besondere Fälle die Ermächtigung hiezu auch einzelnen zur Strafverfolgung zuständigen Kommandanten übertragen könne, beabsichtige er, sich die Entscheidung durchwegs selbst vorzubehalten, weil vorläufig keine Entwicklung vorauszusehen ist, die einem Kommandanten die rechtzeitige Einholung der höheren Entschließung unmöglich machen würde. Ferner gedenke er, in einem solchen Falle die Maßnahme territorial einerseits nicht allzu sehr auszudehnen, anderseits aber nicht in einer Art einzuengen, die sich in Kurzem als unzweckmäßig darstellen könnte, sondern grundsätzlich nach Kronländern oder Teilen von Kronländern (Bezirken) vorzugehen; eventuell könnte auch der Bereich einer größeren Stadt infrage kommen12. Er wolle diese Intentionen, hinsichtlich deren er mit dem Minister des Innern und dem Justizminister das Einvernehmen gepflogen habe, mit Rücksicht auf ihren Zusammenhang mit den Ausnahmsverfügungen sowie angesichts ihrer prinzipiellen Tragweite zur Kenntnis des Ministerrates bringen13.

    Der Ministerrat nimmt diese Mitteilungen zur Kenntnis.

    III. Au. Huldigungskundgebung des Ministerrates

    III. LoyalitätsbekundungenHuldigung Der Ministerpräsident möchte in dem gegenwärtigen historischen Augenblicke, der den Anwesenden gewiss für ihr ganzes Leben unvergesslich bleiben werde, vor allem der unverbrüchlichen Treue und bewundernden Ehrfurcht Ausdruck geben, mit welcher sich seine und seiner Ministerkollegen Blicke auf die erhabene Person des Monarchen richten; er möchte aber auch der glorreichen Armee gedenken, die in diesem Momente durch den Willen des Ah. Kriegsherrn zur kraftvollen Wahrung der Staatsinteressen aufgerufen werde. Er glaube, der Ministerrat dürfe sich angesichts der Bedeutung der gegenwärtigen Sitzung treugehorsamst erlauben, sich in einer huldigenden Kundgebung direkt an die Ah. Person zu wenden.

    Der Ministerrat schließt sich in hoher patriotischer Begeisterung der Auffassung des Ministerpräsidenten an und beschließt zugleich, diese huldigende Kundgebung mit dem anverwahrten Wortlaute auch im Protokolle festzuhalten14.

    Wien, am 26. Juli 1914. Stürgkh. Ah. E.Allerhöchste Entschließung Ich habe den Inhalt dieses Protokolles zur Kenntnis genommen. Wien, am 1. Oktober 1914. Franz Joseph.

    1This TEI document has been used to generate a printed version of this edition
    2978-3-7001-9298-5
    3Fortsetzung vom MR. v. 23. 7. 1914/I.
    4Die Abreise erfolgte am 25. 7. 1914, nachdem Giesl den Abbruch der diplomatischen Beziehungen erklärt hatte. Telegramm von Giesl, 25. 7. 1914, Österreich-Ungarns Außenpolitik 8, Nr. 10647.
    5Am 24. 7. 1914 informierte Conrad Berchtold über die serbische Mobilisierung, der darauf für den 25. 7. 1914 eine Audienz beim Kaiser in Ischl anmeldete. Am selben Tag wurde die Teilmobilisierung resolviert. Österreich-Ungarns Außenpolitik 8, Nr. 10634. Siehe auch MR. v. 23. 7. 1914/I, Anm. 1.
    6Dies war zur Sprache gekommen im MR. v. 23. 7. 1914/IV und V.
    8 Zu den Maßnahmen in Ungarn siehe MR. v. 23. 7. 1914/IV, Anm. 17. Am 24. Juli 1914 wies Heinold Kabinettsdirektor Franz Schießl in einem Billet darauf hin, dass Datum und Ort der Erlassung der 5 kaiserlichen Verordnungen […] in der gleichen Weise wie bei den ungarischen Verordnungen ausgefüllt werden wird. Daher seien Ort und Tag im Entwurf der Verordnung offengelassen worden. Mit Telegramm v. 26. 7. 1914 ließ Heinold dem Kaiser melden, die österreichischen Ausnahmsverfügungen seien sowohl in Österreich als auch in Ungarn am Morgen des Sonntags, 26. 7. 1914 mit Datum v. 25. Juli publiziert worden. Hhsta., Kab. Kanzlei, KZ. 1815/1914.
    9Siehe MR. v. 23. 7. 1914/V, Anm. 18. Die drei weiteren Verordnungen des Ministeriums für Landesverteidigung aufgrund des Kriegsleistungsgesetzes betrafen den Zeitpunkt des Beginnes der Verpflichtung zu Kriegsleistungen, die Vergütung der geleisteten persönlichen Dienste, beigestellten Fuhrwerke, Tiere, Kraftfahrzeuge und Verpflegungsartikel und die Hintanhaltung des Mißbrauches von Brieftauben, Verordnungen des Ministeriums für Landesverteidigung, publiziert als Rgbl. Nr. 170, 171 und 172, alle ex 1914.
    10 Siehe dazu auch MR. v. 23. 7. 1914/III.
    11Schreiben des Kriegsministers Krobatin an Georgi v. 20. 7. 1914, Ka., MfLV., Präs. 4220/1914. Militärstrafprozessordnung der Landwehr, Gesetz v. 5. 7. 1912, Rgbl. Nr. 131/1912. Diesem Militärgesetz waren ab dem 24. 7. 1914 aufgrund zweier Ausnahmsverfügungen im Mobilisierungsbereich auch Zivilpersonen bei Verbrechen gegen die Obrigkeit oder gegen kriegsrelevante Personen oder Einrichtungen und in der Gesamtmonarchie Zivilpersonen bei Begünstigung von Militärdienstpflichtverletzung, Spionage oder Bevorteilung des Kriegsgegners, unterstellt. Rgbl. Nr. 156 und 164, beide ex 1914. Siehe MR. v. 23. 7. 1914/IV, Punkt 9 und 10.
    12Siehe dazu ausführlich Ka., MfLV., Präs. 4220 und 4292, beide ex 1914.
    13Mit der kaiserlichen Verordnung v. 25. 7. 1914, Rgbl. Nr. 153/1914, waren die Befugnisse der politischen Verwaltung in Bosnien, Herzegowina und Dalmatien an den dortigen Höchstkommandierenden der Streitkräfte übertragen worden, siehe MR. v. 23. 7. 1914/IV, Anm. 19. Zur Übertragung der politischen Gewalt an das Militär auf dem östlichen Kriegsschauplatz siehe MR. v. 30. 7. 1914/III, Anm. 6. Am 3. 8. 1914 ordnete das Armeeoberkommando das Standrecht gegenüber allen der Militärstrafgerichtsbarkeit unterstehenden Personen innerhalb des Bereiches der Armee im Felde an, die das Ministerratspräsidium den betroffenen Statthaltereien bzw. Landesregierungen (Lemberg, Czernowitz, Troppau und bereichsweise Brünn, sowie Bosnien, Herzegowina und Dalmatien) mitteilte. Ausgenommen vom Standrecht blieben Böhmen, die oben nicht genannten Teile Mährens, Österreich ob und unter der Enns sowie, allerdings nur bis zum Kriegseintritt Italiens 1915, Salzburg, Steiermark, Kärnten, Krain, das Küstenland, Tirol und Vorarlberg. Das Standrecht wurde nach einer Anordnung des Armeeoberkommandos v. 24. 8. 1914 in Form des Feldverfahrens angewandt. D. h. auch Zivilisten wurden in den genannten Fällen mit der Todesstrafe nach einem Schnellverfahren bedroht. Czernowitzer Allgemeine Zeitung v. 7. 8. 1914. Ava., JM., allg., Zl. 27061/1914. Fortsetzung des Gegenstandes im MR. v. 30. 10. 1914/I.
    14 Eine Abschrift des Huldigungstelegramms liegt dem Originalprotokoll bei.

    How to cite

    Die Ministerratsprotokolle 1848–1918 (statisch), herausgegeben von Hanna und Ronja, LaLe 2025 (https://acdh-tool-gallery.github.io/mrp-static/MRP-3-0-08-1-19140725-P-0002.html)