Von Jean Paul an Christian Otto. Leipzig, 15. August 1798 bis 17. August 1798.
Brieftext
Mein ältester Seelenbruder! Hier sind die Palingenesien,
bei denen
ich mich jezt wundere, daß sie in einem so wilden, harten,
zerstreueten,
auflösenden Winter wie der vorige war die
fallopischen Trompeten
finden konten. Schreibe mir dein
längstes Urtheil, zum besten einer
2ten Auflage.
Schlegel hat mich in seinem Athenäum angegriffen wie ers Klop
stok, Fr. Jakobi, Lessing, Garve etc.
etc. etc. gemacht. Ich habe dafür dem
Seehund in einer Beschreibung von Dorfbibliotheken in der
halber
städt. Quartalschrift in einer
leichtbewafneten Note ein oder 2mal auf
die Schnauze geschlagen. Ich nehme sie, die Note,
Herdern mit; dan
kriegst du sie. Ich habe freilich durch seine kraftvolle
Frau, mit der ich
in Dresden ein ganzes Souper verstrit, mit meinen
Brandkugeln
seine losgebrant. Fr. Jakobi wird diesem Bel zu Babel in
einem Buche
über die Toleranz auch ein Kügelgen in einer Note reichen.
Das Humo
ristische achtet er
blos an mir und heisset mich einen grossen Dichter;
aber
wegen alles übrigen bilt er mich an. Und ganz recht: so lang noch
ein Bogen von mir 3 Leser hat, so hat seine windeierhafte
Poetik
3 weniger.
Ich lernte auf Frege’s Landgut Mdme Grey kennen, die
wizigste
Kokette, die ich noch gesehen, die eheliche Koadjutrix des
vorigen
Königs, des Weimarischen Herzogs, und
anderer krönenden Häup
ter. — Ein hiesiger D. Rauh (denk’ ich) (sie ist hier in den besten Gesel
schaften) sagte seinem Namen zufolge zu
ihr: „sie habe sich doch noch
ganz wohl erhalten, sie sei
eine alte Eiche, an die man sich noch immer
lehnen könne.“ —
„So thun Sie es, sagte sie, nur der Früchte wegen.“ —
Wir stallen gut zusammen (wiewohl mir sonderbar und unbequem
und der Ton bei einem weiblichen Wesen ungewis wird, bei
welchem
fast keiner verboten ist) und wir haben uns
beide Nachts in einem
Gartenwäldgen verirt, aber nur
physisch. Ich versprach zu kommen und
that es noch nicht.
So mach’ ich [es] hier mit allem Volk,
nicht blos
aus Zeit-Geiz sondern weil am
merkantilischen nicht viel ist. Ich lobe
mir den Adel und
den gebildeten Gelehrten. In Weissens herzliche
Familie und deren Herzen wachs’ ich wie ein Herzpolype
immer tiefer
hinein; daher mir einer der vortreflichsten
Menschen, Prediger Wolf
aus Prenzlau, auf Starke’s Aviso gratulierte, daß ich die
Weissin
heirathete, wiewohl dazu das hiesige Gerede mit Dlle Feind der
jüngern nicht passen wil, wenn man nicht beides durch die
Hypothese
vereint, daß ich etwan eine dritte heirathe,
welches Gott gebe meinet
wegen. Warlich
ich brauch’ eine Frau und Ruhe und ein Dorf (oder
eine
elende) 〈neben einer〉 Stadt.
Das mit der Stadt kan nicht wahr sein; an eine grössere gewöhnt,
erträgt man höchstens nur das Dorf, oder die Nähe an
dieser.
Übrigens hat mein Thorax noch sein Gewölbe; du
misverstandest
mich — ich lerne die Menschen immer mehr
lieben; aber Liebe zu mir
ist noch kein Gehalt, für den man sich hingeben
kan. Ach man mus nur
so viel errathen oder vergeben! Gleim
hätt’ ich mit seiner einäugigen
Volherzigkeit gewis in keinem frühern Jahre so geliebt als
in diesem,
wo sie eben seltener auftrit. — — (Ich wagte
gegen ihn nur einige
leichte Bemerkungen, als er Ludwigs
XVI Leiden gegen Christus
seine hielt.)
Gestern gieng ich von diesem Blatte zur — Grey, die ich auf dem
vorigen zu hart malte. Sie gefiel mir sehr ihres Ernstes
wegen.
Wahrhaftig wir stritten lange über die
Unsterblichkeit, über die sie
einmal einen langen Weg mit
dem Herzog von Weimar strit, der sie
auch glaubte, und mit dem sie seit 22
J[ahren] korrespondiert (aber,
wie sie versichert, unter Irthümern der öffentlichen
Meinung) und
den Lerse (Göthes ältester Freund) ihren
intellektuellen Liebhaber nent.
Denk an nichts. Sie hat keine Zeile von mir gelesen, weil
ihr Deutsch
zu schwer ist. Auch sagte sie mir Meinungen, die sie gewis
nicht für
meine halten konte. Ach gerade die kräftigsten
Weiber vol Aether
werden durch falsche erste Liebe aus
Morgenwolken zu kriechenden
Märznebeln. — „Der König
in Preussen, (erzählte sie mir aus, ihr
nächsten Quellen) sagte zu Kobenzel: er bleibe so neutral
gegen die
Franzosen, aber bei der ersten Erdscholle, die sie vom
rechten Rheinufer
nehmen, brech’ er durchaus auf.“ — Hirt aus Rom machte daß
auf
die pr. Ld’or ein römischer Adler
ohne Krone mit hängenden Flügeln
kam; das Volk sagte etwas über die
Selbst-Entthronung — jezt sind
die Stempel auf höhern
Befehl zerschlagen. — Als ich immer fort
wolte (nämlich von der Grey), weil Spielgeselschaft kam, — 3 Män
ner, die sie die 3 Höllenrichter nante
— und sie sagte nach dem nächsten
Gespräch, daß die Liebe
mich etwan lokte und ich sagte: ausser der zu
den
Musen wärs keine — so sagte sie in Beziehung aufs Vorige:
„das ist sinlich genug, neun
Musen.“ —
Schicke mir bald meine Briefe — Ich erhielt alles. Wie ists mit
deiner Gesundheit und deinem Baden,
nach Weikard? — Ich weis
nicht ob ich dirs schon erzählt, daß mein Blähungspulver
im Hesperus
— ich hab’ es von
K[ommissions]
R[ath] Vogel, dieser von Doppel
maier — nicht nur sonst von der Berlepsch sondern auch wie mir Graf
Moltke sagte, im Holsteinischen von den Lesern und
dadurch von den
Lehnsleuten derselben genommen wird. O lieber Gott! was
kan die
beste epische und transszendentale Feder höheres
begehren als die
Blähungen und Winde Europas allen Winden Preis zu geben? Das
Pulver erhebt mich mehr als alles Dintenpulver. Sie
heissens das
Hesperus Pulver.
Mein Kommen nach Hof ist — durch meine schwelgerische,
un
mässige Sehnsucht und durch noch eine
andere Ursache — wahrschein
licher als unwahrscheinlicher; indes aber doch von meiner nahen Reise
nach Weimar und Gotha abhängig.
Ich brachte gestern das Mittagsessen bei einer zu warmen Freundin
auf dem Lande; und die Vesperstunden bei der lieben
geliebten theuersten
Platner zu, wozu zulezt noch der Alte
sties, dessen Eitelkeit blos im
Kontrast seines Werths misfält und den man wegen seiner
gut
müthigen Unbefangenheit
immer lieben mus. — — Aber jezt zu
deinem Briefe.
(Aber doch eh ichs vergesse, der Spizbube Hennings giebt „die
〈hier beiliegende〉 Reise etc.“ mündlich und in der L[itteratur]
Zeitung
schriftlich so fein für meine aus, daß ich durchaus nicht
widersprechen
kan: thu du’s!ernstlich; aber mit deinem Namen.)
Wernlein hat freilich den Egoismus der Eitelkeit; aber auch keinen
härtern, indes auch kein philosophisches Auge. — Ach der
gute Ema
nuel! Er hat Hiobs Leiden ohne
Hiobs Frau; grüsse diesen sanften
ächt-biblischen Jonathan und sag
ihm, daß es sich im matten Leben
die Mühe nicht verlohne, auch nur einen ½ Tag das
Trauerpferd zu
beschreiten, es müst’ einem denn der Rit und
die Mozion ungemein
sanft thun. Ich gebe dieser Bestie fast
keinen Haber mehr. — Dein
Scherz über dein Beamten ist sehr
ernst für mich; erstlich deinet- und
meinetwegen, — ach
wenn ich irgend dich und mich an Einen Ort
zusammenbringen könte, denn so ist jeder nur halb — und zweitens der
Seele wegen, der du die Wünsche, wenn auch nicht die
Foderungen,
vergeben must, sobald du nur ihre Lage 10 Jahre später
anschauest.
Ich gesteh’ es, die nahe schmerzlich-frohe
Änderung in deinem Hause
(wiewohl mir ist, als gienge durch euer Trennen ein Stük
von meinem
Innern mit los) seh ich für den Hebel
einer 2ten an. — Mein Bruder
wird mir wegen seines lügenhaften, tolkühnen, Zeit- und
Geldzerstöhren
den, nervenlosen
Wahnsins verächtlich. Er kan nicht bei mir sein; auch
nicht
im zu theuern Leipzig; er sol, wenn er wil, gar nicht studierenGlaube aber nicht, daß ich darum weniger für ihn thue; ach ich
hätt’ ihm soleicht vergeben! —,
wozu ohnehin ein Mensch, dem es nur Mittel ist wie ihm,
nicht gehört
und wozu ich ihn nur wegen meiner
frühern grillenhaften Achtung fürs
Studieren bestimte. — O
diese Eitelkeit, die ich ihm so oft ernst und
bitter und
satirisch vorrükte, zerfasert jeden bessern Muskel in ihm. —
Lebe wohl! Ich habe nicht die Hälfte meiner innern Contenta ge
schrieben — dich
anlangend, so schreibst du wenig.
Das 2te Exemplar der Palingenesien gehört an Herold, der
Unter
schied des 1 und 2. Bandes ist
Zwang.
How to cite
Jean Paul - Sämtliche Briefe (statisch), herausgegeben von Hanna und Ronja, LaLe 2025 (https://acdh-tool-gallery.github.io/jean-paul-briefe-static/III_119.html)