Von Jean Paul an Amöne Herold. Leipzig, 2. Oktober 1798.
Brieftext
Meine Amöne! Ihre Briefe werden immer mehr zu Lautensaiten
und Lautentönen. O gerade nach der Lesung Ihres lezten hätt’ ich
neben Ihnen in Hofek vor Bergen und Thälern stehen mögen; ich
hätte
jenen Nachmittag wiederfodern mögen, wo wir in ruhiger
befestigter
Freundschaft nebeneinander auf dem Felsen in
das knospende Thal und
in unsere Seelen blikten. Wenn
ich wiederkomme, Amöne, so sol nicht
einmal der Schatte eines
dünnen Nebels dich verhüllen; aber dan, o
Liebe, nach
unverfinsterten ewig-warmen Stunden, dan wird ihr Ende
desto
schwerer drücken. Nur Einmal wenn ich Eines von Euch oder
Euch
alle in meine neugebaueten Lagen führen könte! — Aber in Euere
komm’ ich, und Ihr nicht in meine! —
Ich denke an Ihr Tagebuch; giebt es keine Blätter darin, die jezt
vor mein Auge fliegen könten? Machen Sie wenigstens Briefe
zu
Tagebüchern und verlangen Sie von einem unter Menschen
und
Schreibereien eingesperten Menschen nicht die reiche
Presfreiheit Ihrer
Hand! Schreibe bald und viel und
froh, Amöne!
How to cite
Jean Paul - Sämtliche Briefe (statisch), herausgegeben von Hanna und Ronja, LaLe 2025 (https://acdh-tool-gallery.github.io/jean-paul-briefe-static/III_133.html)