Von Jean Paul an Christian Otto. Leipzig, 2. Oktober 1798.
Brieftext
Dein Brief, lieber Otto, verdient einen der längsten, weil er so
viele Blätter und auf jedem gleichsam eine Traube hatte.
Indes kan ich
ihm unter meinen Mes- und Stubengeschäften nur
folgende kurze
Antworten geben.
„die Tochter Wielands“ etc. Als Witwer nähm’ ich kaum eine Witwe.
Die Lüge ist aus weiter nichts gesponnen als aus meinem —
Besuch;
Wielands Anerbieten seiner Wohnung konte die Schocke nicht
einmal
wissen. Die vortrefliche Wieland <Mutter> ist
wirthschaftlich, wie
solt’ es die Tochter nicht sein? — Hier aber könt’
etwas werden, wenn
ich — bliebe. Gieb einem Mädgen schöne
Augen, schöne Nase, Farbe,
Mund, Stirn, Taille, 18 Jahre, zu
grosse Empfindsamkeit, Bildung,
Kentnis, Sanftmuth, höchste
Dezenz, ein Paar trefliche Schwieger
eltern, die die Sache gern sähen: so
hast du Weissens Dorothea; aber
da du ihr nicht nehmen kanst das Kin (es ist aber
blos mehr plat als
rund, und nicht arg, und die Berlepsch selber fand sie schön und lieber
als die Platner), und die Leipziger
Spashaftigkeit und das Unvermögen,
auf einmal Ja zu sagen (was ich mit der Mutter ihr oft
vorhielt) und
die Räsonniersucht: so hats den Teufel gesehen. Das merk’ ich
aber
wohl, wenn mein Ehebette endlich einmal
Bett’bretter bekommen sol,
daß ich nicht so fort wie bisher
von jedem neuen Mädgen alle die
Vorzüge fodern darf, die alle
meine alte zusammen besessen. —
„Schlegel.“ Ich würde ohnehin nie meine Zeit und mein
Herz
durch Schreiben gegen einen Menschen verderben: sondern nicht
einmal
beiliegendes Blat wird gedrukt, da der
elende furchtsame Nachtigal es
nicht aufzunehmen wagte. Aber es war nicht von meiner
Vertheidigung
sondern von dem Damme die Rede, den ich
seinen Grundsäzen ent
gegenbauen
könte.
„Wieland in Merkur von Kampaner Thal“ Lauter Lügen von
Hennings. Es ist unbedeutend und von Böttiger, der
mich mehrmals
rezensiert; auch in der
Götting[ischen], Gothaischen Zeitung bin
ich
angezeigt, aber ich sah jene selber nicht. Wer wil mir mit
seinem Sauls
Spiesse nachkommen, da ich jezt, nach Wielands Glauben selber, das
gröste Publikum habe?
Dein neues Zeidelmesser, das dir aus jeder fremden Honigtafel
Scheiben schneidet, stecke nie ein; mich freuet es innig wie deine ganze
jezige Stimmung. Seze jeder weichen —
schon deiner Brust wegen
— frühe Schranken. — Dein
vortrefliches Urtheil über Glük und
Verdienst war immer
meines, und nur mit der stolzen Blindheit einer
Berlepsch oder einer Frau kan man klagen. Auch ich habe mir
die Eier
selber gelegt, die mir das Schiksal an den Kopf wirft oder
woraus
Basilisken kriechen. Auch bei meinem armen Bruder
hab’ ich einige
Schuld (weniger des Herzens als Verstandes) — Mit Göthe
strit ich
für deinen Saz der Weltfortschreitung — „Umschreitung müssen
wir
sagen“ sagt er. A
priori folgts aus der Vorsehung; aber nicht in jedem
a posteriori ist der Fortschrit zu zeigen, wenigstens nicht
in den gal
lischen Fortschritten.
Auch die gelesene Wahrheit mus man hinterher erst selber erfinden.
Die Gehirnhölen sind volle Samen-Düten; das Gefühl erst die
Blu
menerde und
d[er] Treibscherben.
Verbirg mir ja nichts je über meinen Bruder! Jeder Vorhang
zerlöchert sich am Ende doch; und überhaupt gehört einer
nur für
Pazienten, nicht Gesunde.
Über die Palingenesien bist du viel zu kurz, zumal da der senti
ment[ale] Theil einige nicht grundlose
Anklagen von Oertel und Thie
riot erhielt, wiewohl Herder ihn billigte. Aber die Hauptsache ist,
daß ich für Buchhändler Feind auf die Ostermesse 99 (der
Titan komt
mit 4 Bänden erst zur Ostermesse 1800
heraus, weil die 2 Filial- und
Supplementbände wieder eine, der titanischen entgegengesezte
Fix
leinische, und mich und den Leser
erholende Historie enthalten) schreibe:
J. P.
Briefe (fals ich diesen Schwanz nicht abhacke) „samt
einem
„kurzen Abris seiner zukünftigen Avantüren.“ Die Idee ist neu. Ich
beschreibe meine wahre künftige
(muthmasliche) Geschichte, Heirath,
Haushalt, Alter, Tod als
künftig, in Briefen an — dich. Erlaubst du
mir freilich
deinen Namen nicht — weil er dabei nur ein Mittel ist,
welches aber mein Ich noch mehr ist — so mus ich ihn leider traurend
weglöschen und ich weis keinen andern wahren. Denn wahr ist alles
darin insofern ich meine Entschlüsse und Wünsche male (da ich doch
einmal mein vergangnes Leben
schreibe). Dein Schweigen halt’ ich
für Ja auf meine Bitte. —
Es stehen auch Briefe über andere Dinge
darin. — Mit höchstem
Feuer koch’ ich das aus; und mit höherm als
der armen
Hermina in der Nähe der Berlepsch zu Gute kommen konte.
„Das Taschenbuch Hermina“ hat ein D. Fischer, der mir 100 Du
katen für den Gebrauch meines Namens
anbot und der die Erlaubnis
„supplierte“ als ich abwesend
nicht gleich antworten konte, auf seiner
Seele als Lüge.
Den Vorsaz meiner Emigrazion trug ich seit der brüderlichen herum
und er trieb mich auf meine Reisen. Ich kan Weimar nicht entrathen,
und wärs blos Herders wegen. —
Heute Abends bin ich bei dem
Weissenf[elsischen]
Hardenberg und vor Sidoniens herlichem Blik. —
Tausend Dinge hätt’ ich noch; aber deine Freundinnen sind auch
da. — An Räsonnieren ist vor lauter verdamter Historie gar
nicht
mehr zu denken. Lebe froh fort, und drücke deinem Senior die redliche
Hand für mich!
How to cite
Jean Paul - Sämtliche Briefe (statisch), herausgegeben von Hanna und Ronja, LaLe 2025 (https://acdh-tool-gallery.github.io/jean-paul-briefe-static/III_135.html)