Von Jean Paul an Friedrich Heinrich Jacobi. Leipzig, 13. Oktober 1798.

Zum TEI/XML DokumentZur originalen Webseite

Brieftext

Leipzig d. 13 Oct. 1798 .

Verehrtester Lehrer meines Innersten! — So oft dieses in der Philo
sophie einen Feind antrift, so denk’ ich an Sie als an den königlichen
Beschüzer seines Glaubens und wil mein Schreiben nicht länger
verschieben. Und jezt thu’ ichs genöthigt, da ich in der neuesten Äusse
rung des Fichteschen Spinozismus drei Harmonien ohne einen supra
mundanen Harmonisten finde, die der Sinnenwelt, die der moralischen
und eine dritte prästabilierte zwischen beiden, nach Art der 3 Ton
leitern, der diatonischen, enharmonischen und chromatischen. —

Sie können aus meinen Werken nur wenig errathen, wie viel mein
Herz und mein innerer Tag den Ihrigen schuldig ist. Und wie mich die
jezige fuga pleni, der transszendente Fohismus, der gern jeden Welten
und Kometenkern in einen Nebel zertreiben wil, traurig und beklom
men macht: so erhebt mich wieder jedes aufgespürte Gerücht irgend
eines Werks, das Sie der Asthenie des Jahrhunderts entgegen
sezen.

Jezt in diesem Wolfsmonat der Litteratur, wo eine ästhetische
<Schlegelsche> Erhebung über die Erhebung alles Positive unter
Termen-Schnee vergräbt, und wo man an der moralischen Welt wie
am Monde nur die verglasete Seite sieht, indes die abgekehrte — nach
Kant aber nur beim Monde — Luft und Auen hat, da ist Ihre Dicht
kunst und Ihre Philosophie, — gleichsam Circenses et panis, — uns
unentbehrlich, nämlich Ihre Fortsezung derselben.

Da ich jezt nach Weimar ziehe: so dacht’ ich oft an den Plan und
Wunsch einer Monatsschrift gegen das jezige philosophische Laterni
sieren alles (innern) Lebendigen — und zwar müste diese Anbetung des
Götlichen durch 3 Weisen aus Morgenland geschehen, durch Sie,
und Herder — dem ich noch nichts davon gesagt — und — da immer
ein Mohr dabei ist — durch mich.

O Verehrtester! schon dieses Schreiben erfrischt mich; wie würde
mich Ihr Anblik erquicken, da doch der Traum des Vorbilderns er
blasset vor dem Wachen der Gegenwart! —

Verzeihen Sie mir den Ton, der von der Vertraulichkeit meines
Herzens mit Ihren Schriften die seinige entlehnt! Ich wolte meinen
Aufenthalt in Leipzig, gleichsam wie die Jahrszeit, mit einem magischen
Nachsommer beschliessen.

Vergönnen Sie meinen innigsten Wünschen eine Antwort: so bitt’
ich Sie daher, Sie an Herder abgeben zu lassen, weil ich nach Weimar
ziehe und wär’ es nur eben dieses alseitigen Geistes wegen, für welchen
der Aether das sensorium commune aller Wahrheiten und Wissen
schaften ist. —

Wenn je meine Seele am Schlusse eines Briefes die herzlichsten
Wünsche für ein fremdes Glük und Leben that: so ist es an diesem!

J. P. F. Richter

Textgrundlage

Jean Pauls Sämtliche Werke, Historisch-kritische Ausgabe. Dritte Abteilung, Band 3. Hrsg. v. Eduard Berend. Berlin: Akademieverlag, 1959.

Kommentar (der gedruckten Ausgabe)

H: Berlin JP. 4 S. 8°; Schluß von 107,8 der Traum ab fehlt. Präsentat:e. zu Eutin den 31ten Oct. 1798; beantw. 21 Nov. K: Jacobi 13 Oct. J 1:Roth Nr. 269×. J 2: Jacobi S. 1. A: IV. Abt., III.1, Nr. 97. 106,14 Innersten]Innern K 29 Wolfsmonat] gestr. K (vgl. 117, 13 und I. Abt., XI, 394,22f.) 33 aber] davor ein Gedankenstr. gestr. H Monde] danach gestr. nachseiner Meinung H 107,5 und1] nachtr. H 6 Mohr] aus schwarzer H K 8 der Traum] von hier ab nach J 2; der ganze Traum K 19 je meine Seele]ich je K

Die Handschriften von Jean Pauls Briefen an Jacobi kamen mit wenigenAusnahmen mit seinem Nachlaß an die Preußische Staatsbibliothek; dievon Jacobis Antworten sind leider nicht erhalten. Gedruckt erschienen siezuerst auszugsweise im 2. Band von Roths Ausgabe von Jacobis Briefwechsel (1827), wozu Zoeppritz 1869 Nachträge gab. Jean Pauls Briefefür sich erschienen 1828 im 60. Bande der Reimerschen Gesamtausgabeund zugleich als Einzela usgabe; in der 2. Auflage, wo sie im 29. Bande(1842) stehen, wurde der Text vielfach ergänzt und berichtigt. Dieser ersteBrief wurde durch die Gräfin Münster spediert, s. 107, 35 f. — 106, 17 –21 Bezieht sich auf Fichtes Aufsatz „Über den Grund unseres Glaubens aneine göttliche Weltregierung“ im Philosophischen Journal (1798), der demVerfasser eine Anklage wegen Atheimus zuzog; vgl. I. Abt., VII, 447, 3–23. 30 Erhebung über die Erhebung: nach Friedrich Schlegels LyzeumFragment Nr. 87 müssen die Künstler frei genug sein, „sich selbst über ihrHöchstes zu erheben“; vgl. I. Abt., XI, 143,3f., 236,29, 422,22. 32f. Vgl.I. Abt., VII, 502,26†. 107, 1 –6 Über diesen Plan einer Monatsschrift s. Rudolf Hayms Herder-Biographie, 2. Bd. (Berlin 1885), S. 741.

How to cite

Jean Paul - Sämtliche Briefe (statisch), herausgegeben von Hanna und Ronja, LaLe 2025 (https://acdh-tool-gallery.github.io/jean-paul-briefe-static/III_138.html)