Von Jean Paul an Christian Otto. Weimar, 6. Januar 1799 bis 7. Januar 1799.
Brieftext
Mein guter Otto in jedem Jahr! Ich schreibe dir sobald, um dir
meine schöne Neujahrsmorgenröthe, die nicht an Wolken
hängt
sondern im Himmels Blau, zu zeigen. Erstlich ist
mir die dikste Gewitter
wolke
weggehoben; mein Bruder ist in Sparnek. Er wil in Erlang
studieren; und ich glaube, da er als Fremder mit einem
akademischen
Pas hinkomt, müssen sie ihn annehmen. Im
entgegengesezten Falle
schreib’ es ihm, damit der
Weg nicht vergeblich ist. — Danke dem
Emanuel für seine Sorge. O jezt ist doch nicht mehr jede
Freude und
selber der Postbote mehr ein Ochsenauge am Horizont des
Kaps!
Zweitens hab ich jezt mit der Titanide ein Elysium ohne Schwaden,
alles ist leicht und recht und gelöset. Nur etwas, denn das Ganze
bleibt
dem Lenz! Ich schikte ihr den Tag nach der eisernen Stunde ein
linderndes Blätgen. Ich sah sie darauf in ziemlichen
Zwischenräumen
immer nur vor Zeugen. Sie hatte mir
einige Briefe von Amöne und
Emanuel etc. (nur du bist und bleibst die ewige Ausnahme
aber für
dieses Wesen soltest du mir eine Ausnahme von der
Ausnahme ver
statten)
abgebettelt, die ich aus Furcht, Flammen in die Flammen zu
werfen, nur ungern und nur dem Versprechen gab. Unbegreiflich
wandte die schöne Seele, die aus den Briefen spricht —
zumal
Emanuels und Amoenens — die
ihrige um; und da ich kam, (am
Neujahrstage gab mir der Algütige das Seelen-Eden) fand
ich die
Liebe ohne Gleichen, und ohne Ansprüche auf
die quälende Aenderung,
die künftige Treue für Man und
Kinder, und etwas höheres als alle
Verhältnisse geben. Aber verzeih ihren sonderbaren, ihr
manches
erleichternden und ihr süssen Irthum Sie hätte denselben Fehlschlus aus
jedem andern weiblichen Briefe ziehen
können, aber aus
A[mönens] ihren gefiel er ihr am
meisten.
über mein näheres Verhältnis
zu Amöne; als ich den
Irthum nahm, blikte die vorher Frohe, wie vom
Schrek getroffen, lange vor sich hin. Nein, es giebt
nichts heiligeres
und erhabeneres als ihre Liebe. Sie
ist weniger sinlich als irgend ein
Mädgen; man halte nur
ihre ästhetische Philosophie über die Un
schuld der Sinlichkeit nicht für die Neigung zur leztern. — Tausendmal
leichter als mit der B[erlepsch]
geh ich ihr durch alle Saiten der Seele;
sie sol immer froher durch mich werden. Sogar ihren Man
liebt sie
jezt mehr; und ich mauere hoff ich einige aus dem
Altar ihrer Ehe Liebe
gefalne Steine wieder ein. Er sieht
und hört ihre Neigung; liebt mich
aber nur mehr. Sie hat 3
grosse Güter und wird, wenn die Prozesse
aus sind, wie sie
sagt reicher als die Herzogin. Im Frühling geh ich
auf das schönste und hab’ alles. — Gestern sandte sie mir
einen Traum,
dem Jakobi und Göthe zusammen keinen
heiligern Geist der Liebe
einhauchen können; der sich aber so sehr auf und gegen
meine Verhält
nisse bei dem Pegasus und der Nachtigal bezieht,
oder vielmehr
deren Tochter, daß ich dir ihn nur — bringen kan.
Ich war lange zweifelhaft, ob du nicht von mir etwas gegen den
frechen Hennings erwartetest; es
ekelte mich aber immer der niedrige
Feind; der eben darum sich immer das lezte Wort nehmen
wird.
Deiner Schwester und Carolinen werd ich nächstens schreiben. Grüsse
unsern Alten und schreibe mir mehr oder vielmehr etwas
von ihm.
Lebe wohl!
N. S. Du gehest so stil über meine Unebenheiten weg. Ich bitte
dich herzlich, sage mir überal dein Be- und Verdenken
und dein Nein;
du weist, wie schön es auf mich
wirkt.
How to cite
Jean Paul - Sämtliche Briefe (statisch), herausgegeben von Hanna und Ronja, LaLe 2025 (https://acdh-tool-gallery.github.io/jean-paul-briefe-static/III_191.html)