Von Jean Paul an Amöne Herold. Weimar, 6. Januar 1799.
Brieftext
Gute Amöne! Wo ist Ihre Stimme? Ich suche sie lange wie die
Töne des Frühlings. — Das neue Jahr bringt mich euch allen um
Meilen und Monde näher; denn in diesem sehen wir uns ja
alle
wieder.
In diesem Jahr werden Sie auch die Fr. v. Kalb sehen, die
Sie
und Emanuel unendlich liebt aus
einigen — Ihrer Briefe. Ich meine,
sie holet mich von Hof ab. (Dieses
gebe Ihre Lippe nur noch 3 geliebten
Wesen und niemand weiter!)
Liebe Seele! die Zeit drükt uns alle immer fester einander an das
Herz. Ich bin an den frühern Fernen weniger schuld als irgend
jemand;
und meine halbe Liebe findet jezt ein ofneres
Herz als sonst meine
mich verschwendende ganze. — Es ist eine mich im Innersten
rührende Aussicht, daß ich nun so gewis weis, daß ich und Sie
und
alle meine Freundinnen eine ganze irdische Ewigkeit der
wachsenden
Liebe vor uns haben und daß gerade die künftigen, sonst Andere
trennenden Verhältnisse nur neue Arme werden, die uns verketten
und bis zum aufgehenden Grabe an einander erhalten.
O meine Amöne! Wie fest und sanft bist du an meiner Seele! Wie
unverwelklich sind unsere Stunden! Ach dir allein war meine bren
nende Seele offen, als der Hesperus aus ihr quol. — Ich fürchte mich
fast vor der Entzückung des künftigen Frühlings und
vor dem Seufzer,
der ihn endigt! —
How to cite
Jean Paul - Sämtliche Briefe (statisch), herausgegeben von Hanna und Ronja, LaLe 2025 (https://acdh-tool-gallery.github.io/jean-paul-briefe-static/III_190.html)