Von Jean Paul an Christian Otto. Weimar, 1. März 1799.
Brieftext
Den 27ten Febr. erhielt ich deinen. Jezt nach der Reihe.
Über Feind irrest du ganz; eben das Gegentheil must du aus
seiner
Verweigerung schliessen. Wenn der Titan 5
Ld. komt: so kan ein
kleineres Stiefkind nicht auch soviel fodern. Auch war
weiter Druk be
stimt. — Die Titanide nimt Amöne desto
lieber auf, da jezt ihr Man
vom Herzog v. Zweibrücken nach München zum Avancement
berufen
worden. Sie müste aber mit ihr auf ihr Landgut Kalbsrieth (8 Stunden
von hier) in eine kleine aber reizende Einsamkeit. Die
Fürstin Karolath,
zu der sie könte, taugt nichts, ist koket etc., der
Fürst dum; die ganze
Lage gefährlich — in 8 Tagen käm’ er mit seiner ars amandi, nach der
jezt algemeinen Frechheit. — Oertels Frau war über Briefe
schon
eifersüchtig; also über die Briefstellerin noch leichter:
sonst wär’ es
die weichste Stelle. — An die arme Karoline
denkt kein Mensch. —
Sag’ es einstweilen Amönen, und das noch, ich hätte
in meinem
Lezten auf diese Einladung der Tit[anide]
eben angespielt. — Den
alten Herold, den ich Swift immer ähnlicher finde, hab’ ich seit einiger
Zeit lieber; nur die Satans-Doublette neben ihm versäuert
ihn. —
Apropos ich logiere wieder bei dir, wenn du kanst; sag aber
doch der
einladenden Amöne, daß ichs gethan hätte,
wären nichts als Schwestern
im Haus. Aber 3 Tage wil ich ernstlich drunten hausen. — Wie
hätt’
ich dem dum-listigen Hölzel etwas geben können? Ich
bin ohnehin den
Schwarzenbachern, Höfern, Erlangern etc. herzlich gram. Du
sagst, ich
sol mein Leben schonen. Oft wolt’ ich, ich hätte es nicht
mehr. Es
wird mir täglich — eben weil alles ausser mir
gelingt — abgeschabter;
eine Frau wäre noch der einzige
Firnis. Zuweilen ergrimm ich über
meine von allen meinen
Verhältnissen ermordete Vergangenheit, über
die bewölkte
Jugendwelt, die mir die Spizbuben um mich verdorben
und die
mir kein Gott wiedergeben kan. Ach welchen Samen zu einem
Paradies trug ich in meinem Herz und wie wenig liessen mir
die Raub
vögel. Oft ärger’ ich mich
komisch, daß mir allein das Schiksal kein
Präsent macht; hart
und kämpfend erober’ ich mir meinen Bissen —
an einen
Glükszufal ist nicht zu denken. — Retifs neue Werke kenst
du
wahrscheinlich nicht; sonst lobtest du ihn mehr. — Das
Liebste in
deinem Brief war mir dein Kaufplan eines
Mittelspiz. — Am
wenigsten gefält und nüzt mir dein neues Rezensier-Summarissimum.
— Persönlich solt’ ich jezt weniger gegen die Rezensenten
haben, da
sie mich jezt so uneingeschränkt loben als sonst
tadelten; in der Erfurter
Zeitung stehen in 1 Stücke 2 Rezensionen (die erste ist sehr
einfältig)
die mich beide für ein Genie erklären, das verlöre bei dem
Gehorsam
gegen die Regeln des Aristoteles. Diese kritische
Jämmerlichkeit er
bittert mich. Herder las sie uns bei der Herzogin vor zum Spas. —
Der Erdbal ist für mich durchlöchert; das macht mich aber
kekker und
fester: was hab ich zu verlieren als die Korkkugel?
Nur die grünende
und die gestirnte Natur liegt noch wie sonst
an meiner Brust. —
Den Brief an Emanuel, den du Renaten schikst, hatt ich lange
ge
schrieben. — Den vom Bruder
Jacobi, dem ich jezt durch die von ihm
gewählte Duzbrüderschaft um ganze Jahre näher bin, sende mir
bald
in irgend einem Briefe wieder, wozu du deine
Schwester oder sonst
jemand beredest. — Gegen die Titanide steh ich fest. Ich habe zwar
2mal neulich eine Pfeife geraucht — wozu sie leider die
Fidibus und
das Licht und Tabak brachte — aber jezt
ists verschworen. In einem
solchen Fal, wo die andere Person
oft selber ausser dem Billigen (was
dir unbegreiflich sein
mus) eine Heilige wird, ists nicht leicht, die
Pfeife zum
Fenster hinauszuwerfen. — Hast du Thatsachen von der
Corday: so sende sie mir; auf Böttigers Zureden versprach
ich etwas
für den
Berl[iner] Historischen Kalender (worin
Genz, Göthe etc.
arbeiten) und nahm diese Königin. So viel entsinn’ ich mich
noch
deutlich daß sie dem Marat
das Lebenslicht ausgeblasen. — Herder
und ich und Einsiedel geben (sub rosa) 1800 eine ¼ Jahrsschrift
heraus. — Mache doch daß mir der Spizbube Georg ohne sein Wissen
25 Frankfurter Federn mitbringt. — Erzähle doch den
Mädgen mehr
von meinen Fatis; sie halten bei
mir darum an. — Du schweigst oft
auf 1000 Sachen. —
Und jezt wil ichs auch thun. Alle meine hiesigen Blumenketten sind
noch unzerrissen. Ich wolte, der Teufel hätte mich nie nach
Leipzig
geholt. — Lebe wohl und besorge, daß geschrieben
wird. — Den 1 B.
v. Titan wil ich in
Hof wieder überfahren 〈übertünchen〉 und da
lassen. —
How to cite
Jean Paul - Sämtliche Briefe (statisch), herausgegeben von Hanna und Ronja, LaLe 2025 (https://acdh-tool-gallery.github.io/jean-paul-briefe-static/III_217.html)