Von Jean Paul an Friedrich Heinrich Jacobi. Weimar, 15. Mai 1799 bis 4. Juni 1799.
Brieftext
Geliebter Heinrich! (Lasse dich mit diesem Zaubernamen zitieren,
den du von dem besten und sternischten König, Heinrich IV von Frank
reich, geerbt; und wegen dieser Magie
wurd’ auch der an meiner Brust
anwohnende Leibgeber so getauft) — Gott sei Dank, daß endlich
alles ins Reine und keiner von uns mehr im Lauern
ist, daß der andere
einen durchkreuzenden Brief ablasse.
—
Zuerst deiner an Fichte! Herder hat ihn mit Wollust mehr
als einmal
gelesen und alles gelobt, ausser das Lob — das
übertriebne durch deine
Winter-Wundheit —, das du ihm
〈Fichten〉, sogar auf deine Kosten
giebst. Fichte hat unendlichen Scharfsin und nichts weiter; wie kanst
du ihn mit
dir nur vergleichen? Der Tiefsin, den du in deinem
Spi
noza so tief davon abtrenst, sezt
innerlich gegebne Gegenstände voraus,
die uns eine andere
Welt vol äusserer zeigen und die ich nie recht bei
Fichten
fand. Sein Karakter ist mänlich und edel, aber auffahrend und
egoistisch und blind-stolz (weil er nichts lieset und
nichts kent), diese
3 Fehler lagen in seiner Bitte und
Gegenbitte der Dimission. (Der
Artikel in der Hamburger
Zeitung ist durchaus wahr) Deinen Brief
hat er entzükt, eh ich ihn hatte, der Fr. v. Kalb, meiner Freundin,
vorgelesen, d. h. den lobenden Theil und die trefliche
Strumpf
Allegorie und
sagte, er wäre dir näher als du meintest. Das sag ich
indes
einem Weibe nach; denn diese Wesen haben eine eigne Art, die
Philosophie in den Philosophen und die schärfsten Säze in weiche
Umrisse und Gefühle zu verwandeln und am Ende haben sie
alle Ein
System — nämlich ihr Herz. Es könte eine zu
gleicher Zeit die Kritik
und die Metakritik annehmen und sagen: ich sehe
wahrhaftig den
Unterschied nicht! — Herder
schrieb jezt die 2te Auflage von „Gott“
und strich den kleinsten Seitenblik gegen dich wegEr bleibt aber bei seiner Ansicht des Spinoza.
— so viele Schmer
zen ihm auch
dein Spinoza gab — und theilte mir sie (wie die Meta
kritik, worüber ich aber damals ein
unbedingtes Schweigen zusagen
müssen) im Mspt. mit, um stat deiner Seele zu fühlen und
zu rügen,
mein Heinrich!
Vergieb diese Pause dem Frühling, den ich immer verreise und ver
träume. Ich war in Hildburghausen bei 3 liebenden fürstlichen
Schwestern, denen nichts fehlte als die 4te, die Königin von Preussen.
— Indes entschuldige das Verschieben meiner Antworten mit
dem
Unterlassen der deinigen; denn in jedem Briefe,
Lieber, versprichst du
mir, im nächsten eigentlich erst
recht zu antworten, allein im nächsten
hast du mir immer
wieder eine Antwort auf viel neuere Briefe zu
versprechen. Ach bei dem epistolarischen Leben wird niemand fet; da
ja kaum das gegenwärtige anschauliche zureicht, weil in
jeder Gegen
wart so viel
Epistolarisches ist. Eine Silhouette ist mir lieber als ein
Brief; und deine hinter dem Spinoza, bei der mein Herz vor einigen
Jahren wie begeistert und ahnend und seelig auffuhr, ist
für mich ein
½ Band epistolar[um] viri
clariss[imi]. —
Deinen Fichtischen Brief hast du mir höchst wahrscheinlich nur
geliehen; aber doch, so oft ich ihn auch gelesen, behalt’
ich ihn bis auf
dein näheres Licht und dan fliegt er
zurük. — Ich habe von Fichte nichts
gelesen als den Abris seines Systems in Niethhammers
[!] Journal,
seine Moral und das was ich aus Schelling und
Schlegel errieth;
aber es brauchts auch nicht, sondern es komt auf das
Fassen des Prin
zips, seines Archäus
und fluidum nerveum an, dan lässet sich sogar
vom niedern Kopfe alles andere, was sein höherer
nachspint, konsequent
und schwizend bei- und nachschaffen.
Aber Heinrich, warum stössest du
nicht öffentlich
dieses transszendente Schachspiel — wozu er sich die
Figuren und Spieler ausbittet, nur
die Kombinazion nicht — um,
da du mir keinen Man in
Deutschland nennen kanst, der nur dein
nuntius a et de latere sein könte, keinen? — Die Folgen
deiner Werke
werden dir schöner folgen und jezt sind
geistige Märtyrer nöthiger wie
sonst körperliche.
Herders Metakritik wird dir durch den Muth, durch die Thetik
— auch hier ist er antikritisch, nämlich besser in der
Thetik als Po
lemik — und durch
einzelne vortrefliche Kapitel z. B. über die Kate
gorien, über die Indukzion etc. gefallen. Fasse, da er
mich schon darnach
gefragt, dein Urtheil über sie
schonend ab, damit ich es ihm mit freier
Brust eröfnen
kan. Dieser ätherische Mensch, den ich täglich lieber
gewinne ungeachtet seiner kleinen Sonnenhöfe, kan vor lauter
Schaffen schwer sehen, wie einem Riesen werden ihm nur
grosse
Massen z. B. Völker hel — ach du weist ja
alles.
Dein Taschenbuch kan ich wegen deiner überflüssigen Gedanken
— das philosophische Nécessaire
ist jezt ein blosses Futteral wie das
Möbel — kaum
erwarten; und ich wolte gern mit deinem Schweigen
vor mir
dein Reden vor uns allen erkaufen und bezahlen, recht gern.
Herder giebt mit mir eine ¼jahrsschrift, Aurora, heraus; er ist
das bureau central und
der Wurzelman davon; sie ist etwas anderes
und
algemeineres als die, die ich dir vorschlug.
Sei froh, daß meine Huldigungspredigt nur gehalten ist; und stelle
keine Kirchenvisitazion darum an — warlich, Heinrich, ich
machte sie
blos, weil ich zu dir nicht Nein sagen kan; so
wie zu Herder; die Aurora
ist für mich was die
mythol[og]ische war, die immer
Jünglinge
tödtend entführte. Ich mus, wenn ich Papier nehme, eben
so gut eine
grosse Tour von einem Ries als eine enge von
einem Alphabet vor
mir liegen sehen: sonst wird nichts.
Fichte ist noch in Jena und wurde aus Rudolstadt mit seinen
privatissimis ausgespert. Er schmerzet mich, da er edel
ist und hülflos
und da der bleiche Minister Voigt nicht werth ist, sein Diener zu sein,
geschweige sein Mäzen. Goethe —
über den ich dir ein Oktavbändgen
zufertigen möchte — ist Gott gleich, der nach Pope eine
Welt und
einen Sperling mit gleichem Gemüthe fallen sieht, um so
mehr da er
keines von beiden schaft; aber seine
Apathie gegen fremde Leiden
nimt
er schmeichelnd für eine gegen die seinigen.
— Vergieb mir, Geliebter, diesen öden, dem Zufal abgeackerten
Brief. Ich wolte dir anfangs aus meinen Gehirnkammern so
viele
Kreidenzeichnungen abschreiben, die nun alle die
Zeit und die Reise
ausgewischt hat. Wenn ich dich sehe? — Ach ich sage nichts; hätt’
ich eine Braut oder Frau, so wär’ alles — leicht; aber jezt mach’ ich
andere Entdeckungsreisen. Ich kenne nun das Leben,
besonders das
auflösende bei genialischen Weibern, die
zugleich verwirren und zer
sezen und
verspäten — nein, ich wil ein einfaches stilleres Herz, damit
meine Kindheit und das Leben bei meinen Eltern wiederkomme
und
alles, was das erinnernde Herz ewig vormalt ...
Vergieb mir, Heinrich; ich wil mich bessern, ich meine meine BriefeIch bin, seit ich du zu dir sage, viel dümmer, und bin nicht
vermögend, das
[zu] überlegen oder zu berechnen oder
zu übermalen, was ich dir sagen wil: sondernich tunke blos
ein.
.
Sage wieder deinen so würdigen Schwestern, die
ich durch so schöne
Stimmen kenne, meine herzlichste Liebe und Achtung; und
auch dem
Stolbergschen Hause! —
Lebe wohl, du Unverdienter!
Hier ist doch Fichtes Brief, ich hatte zum längern Behalten weder
Muth noch Recht.
How to cite
Jean Paul - Sämtliche Briefe (statisch), herausgegeben von Hanna und Ronja, LaLe 2025 (https://acdh-tool-gallery.github.io/jean-paul-briefe-static/III_274.html)