Von Jean Paul an Friedrich Benedikt von Oertel. Weimar, 28. September 1799.
Brieftext
Mein Alter! Guten Abend, denn jezt schreib ich. — Über Amoene
hast du 2 Irthümer; 1. sie ist und war nur verlobt, 2) sie
wird gewis
verehelicht, wenn und da im Frühling
O[ttos] Schwester es wird.
Ich war den ganzen Sept. in Hof und gieng kalt von A. und kam kalt
zu ihr. Überhaupt traf ich im Heroldschen Hause und Kreise eine
neblichte Dumpfheit an, die immer aus einem widernatürlichen
Be
stande lyrischer und eiliger
Verhältnisse (der Liebe) aufsteigt.
Mein Oertel, warum ekelt mich Leipzig so sehr? Sonst wär’ ich
längst an dir. — Der berühmte
Mahlman und Leipziger ist hier noch
nicht einmal bekant. — Der Herzog
von Hildburghausen hat mich
zum Legazionsrath gemacht. — Ich schreibe alles durch
einander; und
nur die Striche sind mein Altargeländer. —
Ich war seitdem in Gotha, Eisenach und der Ruhl. In Eisenach
sol ich mich mit einem schönen Mädgen verlobet haben,
wie man mich
algemein versichert; mir wil die Sage nicht ein, ich glaube
eher, daß
ichs mit einem edeln Wesen (einem Fräulein v. Feuchtersleben) in
Hildburghausen thue, wohin ich wieder reise. — Ein ganzer
Post
wagen ist mit fremden Briefen für dich
volgeladen; könte nur eine
Kronwache ihn beschirmt zu
dir geleiten. — Schiller zieht in das
Logis der F. v. Kalb, die nicht
wiederkomt. — Dein Verhältnis mit
Goeze muste so schliessen wie jedes, das nicht die Neigung
sondern zu
fällige resignierende Nebenzwecke
knüpfen. Ach das Herz wird überal
bestraft und verlassen, wo
es kein Herz sucht. Überal werden bei dir
Verhältnisse, die du dir nur abzwingst, so ausgehen. — Müller ist ein
Markzieher Fisch; in Leipzig giebts nur Markzieher. — Ahlefeld
schreibt mir nicht, ich ihm nicht. — — Auf der Bahn nach Hof gieng
ich durch Rudolstadt, wo mir die
Magie der Gegend, die Fürstin,
der Fürst (der mich nach Schwarzburg führte), die Stadt, die Men
schen so wohl gefielen, daß ich
in der Ehe Weimar dagegen austausche.
— Ich habe mich hier wohl mehr in mein Dickicht
zurükgeschoben;
aber meine alten Freunde sind es noch. Den
Herderschen bracht’ ich
jezt sogar einen Sohn (den Oekonomen) bei Emanuel an, und aus der
Herzoglichen Wilkühr weg. — Die Berlepsch wird von zögernden
Winden in Cuxhaven eingespert; sie
schikte mir 2 Tagebücher. Ihre
Seele fühlt weinend das Trennen vom alten Vaterland.
—
Jacobi lässet seinen Brief an Fichte drucken. — Was sind denn alle
diese öden Nouvellen? Nicht einmal eine Kapitelüberschrift zu
meiner
Lebensgeschichte ist damit gegeben; und auf dem
innern Wesen liegt
Schatten und Hülle. Ach nur tägliches
Beisammenleben ist Leben und
Lieben; und wir brauchen
eine andere Welt und Lage, fast schon darum,
damit nicht
alles einander nur in so abgetrenten Inseln im Strome der
Zeit erblicke und entbehre. —
Leb froh, mein Geliebter! Warlich mein herzlichster Wunsch wäre,
die Feder nicht wegzulegen — ich darbe mehr wie du — aber ich
mus.
Ach die Ewigkeit braucht den Menschen nichts
zu geben als Gegen
wart, dan ist alles
gut. — Grüsse, küsse, umarme deine geliebte Sophie
für mich. Lebt wohl!
How to cite
Jean Paul - Sämtliche Briefe (statisch), herausgegeben von Hanna und Ronja, LaLe 2025 (https://acdh-tool-gallery.github.io/jean-paul-briefe-static/III_321.html)