Von Jean Paul an Christian Otto. Weimar, 2. November 1799 bis 7. November 1799.
Brieftext
Gott gebe, daß ich nichts vergesse. Ich wil aber an deinem Brief
meinen anspuhlen und aufwinden. — Meine Mundsperre magst
du
auch dem Wetter, den Krankheiten und noch einigen
Dingen schuld
geben. Ich meines
Orts kam als der Alte. Hab’ ich nur meine C.:
dan sol das erste, was wir uns anschaffen, du sein auf
mehrere Wochen.
Neben dieser Seele wird dich bei meiner
eine freiere Luft anwehen;
beim Himmel, sie ist von der
poetischen Hermine blos in der Festigkeit
verschieden, die diese mehr haben solte. Lies besonders
die mit be
zeichneten Briefe; doch
kanst du aus ihren nicht immer meine ziehen,
da sie
mich zuweilen anders auslegt. Herder ist, seit meinen
kurzen
und Augustens längern
Schilderungen von ihr, und seit der Lesung
der Geschichte ihres Vaters, ihr Sonnen-, Mond- und
Sternen
Anbeter. Ich erschrecke, wenn ich jezt
zu den ausgebranten Ehe
Kratern
hinübersehe, in die ich so oft zu fallen im Begrif war, wenn
keine fremde Hand mich gehalten hätte. In Jena, in
Leipzig, Eisenach,
Gotha (denn ich habe dir nicht alles schreiben können)
Hofschreibe mir die jezigen Verhältnisse der armen
andern C.
etc. hieng
alles nur an einem Haar, so hieng ich selber im Haar als
elender
Schneusvogel. In ihr schlingen sich so
vielerlei moralische Staubfäden
und Farben zusammen, wovon
du keine einzige nehmen kanst, ohne den
Kunstgärtner — mich — zu verderben. — Der Tieffurter hab’ ich
nicht das leiseste Zeichen der Neigung gegeben, weil ich
selber noch auf
diese 〈meine〉 warten muste; ich erschien —
das war alles. Von
meiner Hofnung auf Unterordnung sprich
nicht viel; gerade sie, die
den Autor nicht ganz faste und
liebte, hätte den Menschen von einer
Hand in die
andere geworfen, indes meine C. durch eine zu
liebende
Verschmelzung beider dem Man
dessen Szepter ohnehin lang genug ist, noch den Schaft des Autors
dazu giebt... So darf ich nicht fortfahren; ich habe keine
Zeit,
deren Mangel du wohl oft für den der
Gründe und Wider
legungen genommen
hast. — Auguste hab’ ich von der Pensions
Direktrice weg- und auf ein Jahr zu
Herders gethan, die sie unendlich
lieben. — Der Pegasus und die Nachtigal haben oft zu kleinliche
politische Rüksichten; und nicht Muth genug; das sah ich neulich beim
Geburtstags Lever des h. Geistes; ich habe den meisten hier, aber
auch weiter nichts, keine Pension und Frau. — Mir
unerwartet, macht
mich meine durch C. befriedigte Seele härter urthelnd über alle
Weiber. — „Jugendliche Wünsche“ gewisse hat freilich der
Teufel
geholt, aber schon vor 7 Jahren; andere leben
mit mir fort bis ans
Sargseil hinan. — Ich
studiere schon lange Fichte, mit Bewunderung
und wachsendem — Unglauben an ihn. Erst in Weimar warf meine
Seele die schwersten Ketten ab. — Lies die „Zauberlaterne“
von
Spangenberg; auf \nicefrac{1}{1000} Seite ist mehr Wiz als im dummen Bier
Roman von Kiesling; pack’ ihn ein, und
piche die Adresse darauf.
— Es ist entsezlich wie die junge Welt jezt fliegt
und blikt, die poetische
und philosophische; Gott sei Dank,
daß ich noch zu ihr gehöre und
mein eignes Empyräum habe. —
Hier mach ich dir mit der Imhofs
Epopee schon jezt ein ansehnliches Geburtstag-Geschenk,
damit mirs
niemand wegkauft; alles fält nur 1 Urtheil des
Lobs, sogar der alte
sie anfeindende Pegasus muste.Dieses schöne Wesen
vol lauter Talente, die eine Simaitha hätte werden
können, wird Hofdame bei der regierenden
H[erzogin].
— Herder wil dir zu dem triden
tinischen Konzilium alle seine Bücher
leihen, besonders das beste, einen
H. v. Hardt; er legt mit dir einstimmig denselben Werth auf das
tri- —— es war Spas — auf das kostnizer Konzilium so wie
aufs
klermonter besonders. Er sagte mir viel, was ich dir ein
andermal
sagen wil. — Entschuldige mein abgeprestes
Schweigen bei Sophie und
Friderike. — Wonsiedel ist besser — durch gute Menschen —
als
das Bayreuth mit seinen falschen schmaruzenden. Das
Nächstemal
werd ich in Hof nichts thun als durchgehen mit dir nach
W., was ich
so liebe wie ich (noch immer) Hof und der Nachbarschaft
gram bin.
— Die Sydow
sandte mir Ihr grosses Bild; und ich erstaunte über die
französische Jugend Schönheit; der C. schikt’ ich ihre Briefe. — In
die Dresdner Lotterie hab ich aus Galanterie gegen die
Sc[hr]oeder
mit eingesezt und 60 rtl. gewonnen. —
Hier ist das Pestizer Wochenblat, schick’ es bald mit allen Briefen
wieder. Sol ich noch den Aufsaz p. 165 in den Teufelspapieren dazu
thun, nämlich neu glasiert? — Es beträgt kaum 9 Bogen.
Jezt fahr
ich mit vollen Segeln und ein Paar Stürmen
hinterdrein in den 2. B.
des Titans und in seine Frühlinge. — Ich bin sehr gesund und das
Schreiben flekt. —
Gestern hab’ ich bei Herder, da mich jede mit einem
Lichte hinaus
begleitete, drei Mädgen geküst, die
junge, schöne H[erder],
W[eber]
und Auguste, die zwei ersten zum
ersten Male. — Mein Bruder hat
jezt auf 2¼ Jahr Pension weg. Die rauhe Seele nimt alles
hin, ohne
zu bitten und zu danken. Es ist hart, etwas aus
Vernunft zu thun, was
man aus Liebe thun möchte. Seine
Existenz bei Meier ist mir schon
wegen der Nähe deines Fensters lieber. Indes schäm’ ich
mich fast, daß
ein solcher Kopf der Kopist und
Taschenspiegel schlechterer sein mus.
Sogar der furchtsame Herder und Böttiger sind für das Dedi
zieren; die Satiren gehen noch dazu
die Fürstinnen nichts an — (nur
Fürsten). Ich bitte die Hildburghäuser Fürstin, die andern
zu fragen.
Die Dedikazion bestände dan in dem veränderten Traum auf
die vier.
Ich nenne sie nur bei den Taufnamen: die vier schönen und guten
Schwestern auf dem Thron,
Luise etc. Die alte B[e]k hat mir eine
schöne Tasse geschikt, wo wieder mein und C. Name sich verschlingen.
Und fahre wohl! an einem Ufer dahin, wo ein Hafen am andern
sei. Grüsse meinen Albrecht und Friederiken.
Herder lieset jezt meine Mumien unausgesezt. Seiner Seele
stehen,
wenn er nichts gegen den Autor hat, alle Seelen und
Manieren offen;
sie wohnt ganz in meiner. Wie abgeschabt
stehen daneben die Rezen
senten vor
mir. — Dato hab’ ich noch keine Zinsen von Altenburg
gesehen; das Stehenlassen thut doch nichts? — Die
edle B[erlep]sch,
deren zwei dicke Tagebücher ich dir einmal schicken
werde, schrieb mir
heut aus Edinburg, daß sie — verzweifelt. Macdonald hat
alles Edle
und Feste, aber keine Liebe. Ich kenne die Narben dieses
so oft zer
schlagenen Herzens, und das
Schiksal führte mit meiner eignen Hand
das vorlezte
Schwert; daher kan ich sagen, daß nie ein gutes Wesen
herber lit, länger blutete und unheilbarer war.
Ach könt’ ich ihr einmal durch meine C. und mich
wenigstens ein
Paar Blätter ihres nebligten Herbstes bunt färben! C. würde sie
lieben, und sie jene.
—
Auf meinen Brief mit der Geschichte und den Gedichten von C. hast
du mir noch nicht geantwortet.
How to cite
Jean Paul - Sämtliche Briefe (statisch), herausgegeben von Hanna und Ronja, LaLe 2025 (https://acdh-tool-gallery.github.io/jean-paul-briefe-static/III_339.html)