Von Jean Paul an Emanuel. Weimar, 3. Januar 1800.
Brieftext
An Sie, Guter, schreib’ ich die 8 zum erstenmal; und an niemand
die 9. — Beim Anfang eines Briefs leg’ ich immer den fremden
neben
den linken Arm, um an diesen Ariadnens Faden das
Gewebe an
zustricken. Der erste Faden ist Menschen
und Spinnen überal das
Schwerste.
Von Ihnen hab’ ich aber nichts herzulegen; denn ich könte eben so
gut Zizeros oder Petrus Briefe beantworten als Ihre lezten,
obgleich
jene doch um etwas — freilich nicht viel — älter sind
als diese. — Aber
vom Wichtigsten zuerst! — Ihr Bier ist schon
seit so lange ausgetrun
ken, daß ich wieder mit ihm zugleich
(durch das englische) den Appetit
verloren habe. Leere Fässer kommen — ungleich ähnlichen
Menschen —
schwerer fort als volle; kein Fuhrman belastet sich
mit jenen. Belasten
Sie also mit diesen einen für
mich. Alle meine mörderischen Nerven
übel
— die immer mit der sonnenhellen Kälte kommen und mein Leben
unterhöhlen — entfliehen vor einem Getränk, das zugleich Ägypter und
ägyptische Priester erfanden, die beide durch Einbalsamieren
Unsterb
lichkeit austheilten.
Otto hätt’ Ihnen lieber (als die Lieder) die moralisch-volendeten
Briefe meiner C. mittheilen sollen;
vor Ihnen hab’ ich kein Geheimnis
und Sie können alles von ihm fodern, was nur mich betrift —
daß Sie
schweigen können, weis man sogar, wenn man Ihnen nicht schreibt,
geschweige wenn man —; mein Innerstes erklärt sie, in Rüksicht ihrer
zarten und festen Moralität und ihres
hellen Blickes, für die volste
Rose auf dem ganzen weiblichen
Blumenbeet meiner Bekantschaft.
Aber Dornen, die nicht an ihr
sondern wider sie stechen, umzäunen sie
jezt. Ein reicher
Onkel, den die Familie erbt, und ein Bruder, der
Kammerjunker ist und dessen Physiognomie der meinigen nicht
gut ist,
machen nun einen feindseligen Bund gegen die
schöne Seele, und ich
— was das Härteste ist — mus das edle
Wesen vol alter Wunden nun
die neuen empfangen sehen und darf
nicht beschirmen und nicht be
streiten. —
Sagen Sie dieses dem Frager Otto und auch das, daß ich
alles empfangen habe wie er und ich es wünschten.
Bayreuth — dahin zieh’ ich gewis einmal, obwohl nicht für
immer.
Meine Seele wird von Jahr zu Jahr müder der Menschen,
nämlich
ihrer Köpfe. Meiner steht auch darunter. Es ist ein
ekelhaftes Einerlei
in dem menschlichen Talent, nicht Herzen — überal entblösset sich
bald
der Ankergrund — nur Eine Unendlichkeit find’ ich, die von
Menschen-Kälte rettet, das ist die Moralität, die ihren
verwandtern
Geist mit dem unendlichen auch dadurch
beweiset, daß wir dieselbe
Handlung, die wir thun und
thäten, am andern (an uns nicht) ehren
und bewundern, indes
wir dieselbe Meinung und Fähigkeit, die wir
haben und an uns
ehren, ohne besondere Achtung bei andern wieder
finden.Nichts ist auf der
sakramentalischen Lumpen-, Ruinen-, Kinder- und Lappalien-Erde gros und unerschöpflich als Menschen-Lieben,
Lieben — Kentnisse undTalente sind etwas, doch aber Hundsfötter, um
fein zu sprechen. — — Darum werd’ ich sogar mit einer Frau ewig, wie ein
Révenant, wandern und keine Ruhe haben als — hinter
unserer
Spiegelexistenz, tief
drunten.
Lassen Sie dem buchhändlerischen Buchhändler Lübek sagen, er
sol mir den Quintus Fixlein und die Vorrede senden; beide
fehlen
mir. —
Lieber, Guter! Ihr Lob wiederholt sich oft im Herde[r]schen
Hause. — Ich glaube meinen Brief kaum angefangen zu
haben; und aus
ist er. Mein Herz bleibt an Ihrem. — Grüssen
Sie unsern Schäfer
und unsere Renate.
How to cite
Jean Paul - Sämtliche Briefe (statisch), herausgegeben von Hanna und Ronja, LaLe 2025 (https://acdh-tool-gallery.github.io/jean-paul-briefe-static/III_377.html)