Von Jean Paul an Caroline Henriette Susanne Friederike von Feuchtersleben. Weimar, 8. Juli 1800.
Brieftext
etc. Hier ruht unser Schmerz und kein Gott kan ihn nehmen —
den
Schmerz der
Unähnl[ichkeiten] bedekt — Wir sind
gleichförmig im
höhern Streben, wir spielen dieselbe
höhere Melodie, aber jedes trägt
sie in einer andern Tonart
d. i. Individualität vor und dadurch wird
das Aehnlichste das
Unähnlichste; die Sekunde ist der gröste Miston.
Die
heftigsten Gefühle springen am leichtesten in ihr Gegentheil um
und die höchste Liebe verwundet sich tödtlich am kleinsten
Unterschied.
O es hilft nichts, daß der Mensch zu
sich sagt, ich wil mich ändern. Er
sezt sichs im Enthusiasmus
der Liebe vor; aber die Aenderung würde er
gerade im
aufgehobnen Enthusiasmus zu machen haben und also nicht
machen können. — frei in einen weiten Raum müssen meine Flügel
aufgehen — mit abtheilenden Entscheidungen ins Band zweier Seelen
greifen — — [Ich
habe] schmerzlich gelernt, der kurzen Almacht der
stärksten Gefühle die ewige Macht der kältern Vernunft
vorzuziehen.
Sie halten Liebe gegen ferne Wesen so leicht
für Liebe gegen nahe und
trauen den Träumen des Herzens,
in denen sich freilich alle Ecken des
Andern
[?] und der Wirklichkeit leicht glätten.
— wir haben nichts
verloren als unsere Gegenwart — die
gewöhnlichen Verhältnisse des
Lebens und der Gewohnheit
zerrütten unsere Liebe — es giebt aber
höhere, obwohl
schmerzlichere.
How to cite
Jean Paul - Sämtliche Briefe (statisch), herausgegeben von Hanna und Ronja, LaLe 2025 (https://acdh-tool-gallery.github.io/jean-paul-briefe-static/III_483.html)