Von Jean Paul an Friedrich Benedikt von Oertel. Weimar, 12. August 1800.
Brieftext
100 mal fang’ ich Briefe mit dem Datum an und sage nichts weiter.
Dein gediegner helpolierter Styl etc. machen mein Lob zu
ihrem und
dadurch wieder zu meinem. — Weimar
ist eine abgebrante Stadt, auf
deren heisser Asche ich noch schlafe. Jede Stadt scheint mir
vor dem
Auszug eben so verkohlt. Die Poesie erbeutet bei
dieser Völkerwande
rung durch
Oerter und Herzen; aber das Herz [wird] ein
armer
emigré; ich wolt’ ich wär’ ein réfugié in meiner Hochzeitstube. Wie
ausgebrant und brennend, leichtsinnig und traurig, stoisch,
poetisch,
sat[irisch,]
liebend, kalt, kek, sanft, weich etc. meine Seele jezt ist und
besonders in welchen Mischungen das alles miteinander — dazu
werd’ ich schwerlich einen biographischen Karakter finden, um
es an
den Tag zu bringen, es müste denn mein eigner sein in
meiner Selbst
biographie. Nun werden Roste geheizt und
Physiognomien von mir
verfertigt, um sie darauf gahr zu
braten. Wehmuth der Aeolsharfe
schwimt auf langen Wogen.
How to cite
Jean Paul - Sämtliche Briefe (statisch), herausgegeben von Hanna und Ronja, LaLe 2025 (https://acdh-tool-gallery.github.io/jean-paul-briefe-static/III_503.html)