Von Jean Paul an Emanuel. Weimar, 21. August 1800.
Brieftext
Mein Guter! Meine Fehler — z. B. mein Schweigen — werden
in
mehrern Städten kopiert, meine Tugenden selten, worunter das
Briefschreiben wenn nicht die erste doch die lezte ist. In
meinen Briefen
an Otto freuet mich das mit so sehr, daß er
sie Ihnen erzählen, sogar
zeigen kan; das ist doch etwas; aber was hab’ ich von Ihnen?
Warlich
mir fährts oft durch den Kopf, früher in das J. P.’s Stübgen und wärs auch nur,
um auf dem dasigen Tisch meine Schulden zu bezahlen. zu
reisen als nach Berlin. — Nur hat
das Gastleben den Fehler an sich,
daß man erstlich so fisch-stum und bequem leben wil
wie zu Hause und
zweitens doch alles in kurzen Minuten ans
Licht poltern und drittens
vieles noch dabei sehen und
geniessen wil — das vierte ist, daß aus den
drei Dingen
nichts wird.
Führt Sie kein Handelsweg, mein theuerer Emanuel, noch im Sep
tember hieher? Der Himmel weis, wie er
selber mich noch verpflanzt;
aber leider wars bisher immer
nördlicher — gehts so fort, so find’
ich meine Todes
Schlaf-Gruft im Nordpol, wiewohl sie selber einer
ist.
Ich hoffe, Sie sind mir eine Antwort schuldig, ausser der 2ten auf
dieses.
Sie könten und solten mir 100 Dinge von Otto und Amöne er
zählen, die er vergisset oder
verschweigt. Und so von Renate, meinem
lezten weiblichen Herbstflor in Hof. Wie ein Kind sehn’ ich mich oft
nach den alten Schaupläzen, wo ich so glüklich und so dum
war.
Warum mus gerade ich jezt mit so vielem Verstand
behaftet sein?
Womit hab ichs verschuldet? —
Einen Wahn, den der Jüngling am schwersten hergiebt, mus
man
doch, um froher im Gebräude [!] des
Schiksals mitzudienen,
am Ende abdanken, ich wil ihn den
Kompletierungs- oder Total
Wahn nennen.
Halb — von Halbstiefeln und halben Feiertagen
an bis zu den Halbgöttern hinauf — ist hienieden — nicht
alles,
das wär’ ein Seegen sondern wenigstens — die
Hälfte des Thuns;
denn der andere Rest ist gar nur Scherbe
und Splitter. Man mus es
sich nicht verdriessen lassen, daß
man einen Lebensplan, ein Buch, eine
gute Handlung, seine
eigne Besserung nur halb ausführen kan — alles
auf der Erde
wird unterbrochen und nur Gott macht sein Ganzes; und
man sol daher in der Schöpfung der Segmente und Stummel und
Sektoren nicht las werden. Warlich ich schafte gern nur Hälften daher
mit einer — ehelichen; hätt’ ich leztere.
Leben Sie wohl, mein Geliebter! Auch schweigend bewahr’ ich Ihr
Andenken mit ewiger Liebe in mir und in keiner Minute liebt’
ich Sie
seit unserer Offenbarung je weniger als in der
andern.
d. 22. Aug. Mich freuets nicht so sehr daß ich heute Ihr Blat erhielt
als daß ich gestern meines schrieb. Dank, mein Geliebter!
Heß ist ein
kränklich-sanfter kernig-deutscher Man; ich lieb’ ihn und
seine Reisen
sehr; und er kent und liebt Sie noch mehr. —
N. S. d. 27ten. Ich weis nicht, ob Sie es schon wissen,
daß ich jezt
langarmige Hosen trage und ein schwarzes
Galakleid mit schwarzem
Samtkragen, wodurch meine Figur
sich ungewöhnlich hebt und zeigt.
Ich verjünge mich
täglich und werde bald, wenn ich nur aus den
Dreissigern bin, ein Zwanziger werden.
P. S. d. 30 Aug. Böttiger sagt, in Pyrmont trage man jezt
Über
röcke Paul-Jean genant; ein gutgewählter Ausdruk, man mag nun
damit mein altes Überroks-Einwindeln andeuten wollen oder
meine
Verkehrtheit in dergleichen oder mein Umwenden
meiner Habite.
How to cite
Jean Paul - Sämtliche Briefe (statisch), herausgegeben von Hanna und Ronja, LaLe 2025 (https://acdh-tool-gallery.github.io/jean-paul-briefe-static/III_511.html)