Von Jean Paul an Christian Otto. Leipzig, 13. März 1798.

Zum TEI/XML DokumentZur originalen Webseite

Brieftext

plus quam Maxime Citissime
L[eipzig] d. 13 März 98 [Dienstag].

Mein guter Otto! Mit unnenbarer Rührung und Freude hab’ ich
gestern deinen lezten Brief gelesen, erstlich weil ich auf ihn so furchtsam
und mit solchen schneidenden Träumen entweder deiner Gesinnung oder
deiner Gesundheit harrete und zweitens weil eine so schöne, helle,
ergebene und liebende Seele darin spricht — aber auch eine zu er
gebene: deine gänzliche insularische Seelenlage passet nicht für deinen
Werth und dein Wissen; du must dich unter andere Menschen und
Verhältnisse werfen als die Höfer.

Noch vor Ostern 〈Gegen Anfang Aprils〉, mein Theuerster, hab
ich dich an meiner Brust wegen der Ferien meines Bruders, der nach
Sparnek wil — und wegen meiner Sehnsucht — und weil ich dan von
Hof nach Weimar wil, wo ich mit der Berlepsch die da ihre Tochter
beringet, noch vor der Messe hieher komme. Was braucht es im Para
dies der Liebe für Wetter und Frühlinge? wiewohl ich dir metereo
logisch [!] gestehen mus, daß es nach meinen Beobachtungen bis gegen
Aprils Ende und im ganzen Sommer trocken und heiter bleibt. Hier
dringt der Frühling schon grünend aus den Aesten. Nicht so viel
Schnee fiel im ganzen Winter als ich eine Woche zum Trinken
brauchte. — Zu Ende Mais geh’ ich mit der Berlepsch nach Dresden,
Seifersdorf, Tarant, und auf der Elbe nach Wörliz. Sie wohnt im
Sommer in Golis und hält für mein dichterisches Seildrehen und Seil
tanzen eine untere Stube offen und parat. —

Das was du über die — sagst, ist aus den tiefsten Mysterien dieser
Lage geholt. Aber schon eh mein lezter Brief geschrieben war, hatt’
ich entschieden und ihr gesagt, daß ich keine Leidenschaft für sie
hätte und wir nicht zusammengehörten. Ich hatte 2 aus der glühendsten
Hölle gehobene Tage und nun schliesset sich ihr zerschnittenes Herz sanft
wieder zu und blutet weniger — ich bin frei, frei, frei und seelig, geb
ihr aber was ich kan. Meine Rechtfertigung seze voraus — in Hof
hörst du sie recht weitläuftig. Doch käm’ es sogar nach meinen Con
fessions
vor ihr nur auf meinen Willen an, mit ihr ein bürgerliches
ewiges Band zu knüpfen. —

Gegenwärtige Briefe sende mit deinen Büchern zurük, die immer
durch die vis inertiae der Diener gegen deine Wünsche und meine
Parliamentswahlen anders oder später kommen. — Schreibe worüber
und wie du wilst: es wird mir allemal besser gefallen als dir. — Rosen
müller ist so mild und gutthätig wie ein Kind und gäbe wenn er ganz
Afrika hätte, es jedem und behielte für sich nichts als das innere un
bekante: was du also noch bedarfst, das fodere nur. — Von der Liebe
und dem Ankommen deines Briefes hieng meines in Hof ab: jezt
schweige freier, ich wil dich nicht mehr durch Befürchtungen quälen. —

Ich bin viel leichter in der Ehe glüklich als du denkst: wenn nur der
Frühling der Liebe da war, dan frag ich wenig nach dem Sommer der
Ehe. Glaube nicht deine opfernde Lage meiner ähnlich — ach in deiner
wär’ ich durch Jugend und Schönheit, durch grössere Seelen-Weich
heit und durch leichteres Unterordnen in die mitlern bürgerlichen
Verhältnisse zu glüklich gewesen. —

Für den H.-Asmodi wil ich die Fischleber (die Galle absondert und
vertreibt) und den Exorzismus mitbringen. — Agnes von Lilien ist für
mich und andere Kritiker eine zerzausete Lilie mit grünem geköpften
Stengel. — Von den Horen ist der November heraus und er gleicht
dem astronomischen an Wind und Oede. — Ach die gute Paulline!
ich glaube ich werde vor Freude und Liebe unter euch sterben. — Sag es
Renata, sie sol mich fragen, was ich von ihrem Schweigen denke. —
In der Bayreuther Zeitung gefallen mir die Intelligenzavisen von
Naila, Hof etc. am meisten: es ist doch was, der Name und die Nach
barschaft von Hof.

— Mein guter geliebter Macdonald geht in 14 Tagen mit einem
Kriegsschiff nach Hause: ach ihr würdet euch lieben! — Platner war
so glüklich, durch einen fallenden Wagen das Brustbein zu brechen, aus
welchem er sich einen neuen Ehrenbogen der Eitelkeit wölbt — (ich
war Sontags bei ihm; doch ist seine Eitelkeit gutmüthig und er schäzt
alles fremde Gute) — aber das Leben seiner edlen Tochter hieng bei
diesem Fal nur an der Hülfe einer frühern Minute — sie war schon
erstikt und erquetscht — und diese unbeschreiblich schöne Seele war
schon in der Todesstunde und blikte sinkend in ihr aufgemachtes Grab,
wie sie mir selber sagte und sie lies gern der Höle das junge blühende
Leben. Ich liebe sie innig und unter den unverheiratheten am meisten
hier.

Träume aber von keinem Einflusse ihres Werths auf meinen obigen
Entschlus. —

Ach wie geliebt und hochgeachtet steht vor mir das Bild deines
reinen, edeln und zarten und hellen Bruders. —

Lasse mich nichts mehr von euch sagen, sondern nur bald zu euch.
Und lebe du wohl, ewig geliebter, unentbehrlicher, frommer, guter,
weiser, edler Geist!

Textgrundlage

Jean Pauls Sämtliche Werke, Historisch-kritische Ausgabe. Dritte Abteilung, Band 3. Hrsg. v. Eduard Berend. Berlin: Akademieverlag, 1959.

Kommentar (der gedruckten Ausgabe)

H: Berlin JP. 8 S. 8°. K: Christian 13 März. J 1: Otto 2,200. J 2:Nerrlich Nr. 34. B: IV. Abt., III.1, Nr. 33. A: IV. Abt., III.1, Nr. 38. 51, 2 plus quam] nachtr. H 7 harrete] aus harte H 13f. der nach Sparnek wil] nachtr. H 21 Eine K 25 eine untere Stube] ein Zimmer K parat] aus apart H 28 entschieden und] nachtr. H 33 meinen] aus diesen H 34 vor ihr] nachtr. H 52, 5 derLiebe] aus dem Wohlwollen H 11 und Schönheit] nachtr. H 16 mit] davor gestr. ohne H grünem] aus grünen H 22f. und die Nachbarschaftvon Hof] nachtr. H 29 das Leben seiner edlen Tochter hieng] aus seine edleTochter wäre H 36 Träume] davor gestr. Glaube H

Otto erhielt den Brief am 20. März. Er hatte in B sein langes Schweigenmit Furchtsamkeit beim Schreiben, Stumpfheit, Leerheit usw. entschuldigt. 51, 14 nach Sparneck: zu Gottlieb Richter. 16 Die Leipziger Messe begann 14 Tage nach Ostern, also am 22. April 1798. 26f. Otto hatteüber Richters Verhältnis zur Berlepsch u. a. geschrieben: „Ich sehe überallauf deiner Seite mehr Aufopferung als Liebe ... Wo aber Aufopferungauf der einen und Liebe auf der andern Seite ist, da befriedigt jene ...doch diese nie ganz, immer nur auf Augenblicke, und die ganze Vereinigungwird ein Wechsel von Foderungen, Täuschungen, Verständigungen undVersöhnungen.“ 52, 8 Otto hatte gemeint, die Ehe sei überhaupt nichtsfür Jean Paul. 10–13 Bezieht sich auf Ottos Verhältnis zu Amöne Herold. 14 Wahrscheinlich Herold, vgl. B: „Der alte Teufel im Herold[schen]Hause wüthet zunehmend ärger als sonst ...“ 18 Paulline: RenatensTochter, Jean Pauls Patenkind; Otto hatte geschrieben, sie könne ihnschon Christian nennen. 53, 1 f. Über seinen Bruder Albrecht hatte Ottosich rühmend geäußert.

How to cite

Jean Paul - Sämtliche Briefe (statisch), herausgegeben von Hanna und Ronja, LaLe 2025 (https://acdh-tool-gallery.github.io/jean-paul-briefe-static/III_71.html)