Von Jean Paul an Christian Otto. Leipzig, 26. März 1798 bis 27. März 1798.
Brieftext
Ich habe deine schöne poetische Epistel und die 2te
prosaische freudig
erhalten, Lieber. Der blaue
Himmel hebt mich immer mehr auf und
ich werde bald meine
Flügel — zusammenschlagen in Hof, Dienstags
(da am wahrscheinlichsten) oder Mitwochs. Aber ich kan
wenig über
die Stunde weissagen, weil ich unterwegs bei
Altenburg und in Gera
Fahr- oder Gehferien halte, und weil ich überhaupt nicht
weis, nehm’
[ich] unterwegs ordinaire oder
ausserordentliche Post oder immer meine
Füsse. — Es ist
hier viel Redens von dem schönen Wetter, das ich
geweissagt
am Aequinokzium. Allein ich mache Bewunderer darauf
aufmerksam, daß ich schon im Quatember die
Aequinokz[ial]
An-
zeichen von langem schönen Wetter und also das
prophezeiete, daß
ich prophezeien würde. Bis Ende
Aprils dauert (der Sommer wird
ganz schön) diese blaue
Helle, kleine Mitteltinten schöner Tage ab
gerechnet.
Aber dein Brief! Herold wolte, ich solte in seinem Fegfeuer, das er
als Hölle heizet, logieren; aber ich wil den Himmel ohne
Purgatorium.
Für meinen Bruder braucht es kein
Bette, du Lieber, weil dieser immer
bei seinem in Sparnek schläft.
Die B. ist eine grosse Seele und darum sol dir mein
ganzes Leben mit
ihr diplomatischer als irgend eines erzählet werden. Auch
hier und in
Weimar hat man mich mit ihr kopuliert: sie
fragt nichts nach diesem
Gerüchte. Eben so ist mir alles, was hier und
drinnen von mir gelogen
wird, erstlich gleichgültig,
zweitens lieb. Sobald die Leute nur mein
moralisches Ich
nicht antasten, können sie das andere abbilden wie sie
wollen.
Ueber die B., nämlich über ihr Sein zu dir, irrest du:
überhaupt ist
sie zu ungemein, um das erste mal gefasset zu werden; sie
schäzt und
liebt dich innig, und doch würde sie das
noch zehnmal mehr thun, wenn
du nur 1 Woche allein mit ihr
gesprochen hättest. — Ich wil dir mehr
von ihren und fremden
Briefen mitbringen. —
Blos wenn oben gedachte Mitteltinten zu bald aufgetragen würden,
bliebe ich länger aus: komt mein Mantelsak am Dienstag, so
bin ich
vor Sonabends abgereiset; sonst nicht. — In deinem
vorvorigen
Briefe stehen sehr schöne Bemerkungen oder
Früchte unter den Blüten
wie Orangen in einem Straus. — Ich
klage mit dir über die Völker
Gleichheit des Stils, weniger in Briefen als Büchern: ich würde gerne
eine Lesebibliothek vol Briefe wie die in meinem Koffer
mithalten,
indes ich in den andern fast nichts mehr lese
als was zu exzerpieren ist. —
Es ist nicht Unfähigkeit
einiger, den eignen Zustand abzuzeichnen,
sondern aller:
wie wollen Zeichen, die nur erinnern, nicht repräsentieren,
das ganze unordentliche bewegliche Leben eines leidenschaftlichen Zu
standes malen oder wiedergeben? Ein
anderes ist der Dichter, der einen
fremden, einen vergangnen schildert, worein er Einheit und
Verhält
nisse bringen kan und
welchen er nur das sagen lässet, was ihn ver
mehrt und abschattet, nicht was ihn erleichtert. Hingegen
die eigne
Leidenschaft wählt die Worte wie der Zorn die
Flüche, nur zur Er
leichterung,
zum Ableiter, also nur die grelsten Farben ohne die
Mittelfarben, mit denen uns der Dichter erst auf jene
vorbereitet.
Daher kan er selber seinen Zustand, wenn er
ihn nicht zu einem ob
jektiven macht —
aber dan ist er nicht mehr darin — nicht so dar
stellen, daß er wiederhineinkomt, wenn er sich lieset.
Wird daher unter
der Darstellung eines fremden
Zustandes sein Antheil so gros, daß
derselbe sein eigner
wird, der mehr sich auszudrücken als abzumalen
strebt —
welches ich daran merke, wenn ich zu viel Genus und eine
Sehnsucht nach Sied- und Brenpunkten des Ausdruks habe — so mus
er am andern Morgen die Klekserei wegwerfen, weil sie nicht
einen
Zustand, sondern dieser sie erst kolorieren
mus. — — Wenn du also
von deiner Malerei eigner Zustände so viel wie von einer der fremden
foderst: so thust du dir und dem Pinsel Unrecht. — Ich sage zu dir jezt
froher Lebe wohl als das nächste mal!
How to cite
Jean Paul - Sämtliche Briefe (statisch), herausgegeben von Hanna und Ronja, LaLe 2025 (https://acdh-tool-gallery.github.io/jean-paul-briefe-static/III_78.html)