Von Jean Paul an Wilhelmina Charlotte Reim. Hof, 18. April 1798.

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Brieftext

Hof. d. 18 Apr. 98.

Sie hingegen, gute Charlotte, haben Ihren Brief nicht so kurz
gefasset wie Ihr Haar, sondern mir wenigstens die eine Hälfte meines
Willens gethan. Ihr lieber Brief brachte meiner Phantasie Ihre
Augen, Ihre Stimme, Ihr Haar, Ihren Mund — diesen indessen
doch nicht ganz — und sogar das Fenster mit, wo ich Sie oft quäle.

Ich hoff’ es bald wieder zu thun; und da ein Christ täglich sterben
sol, wil ich von Ihnen täglich Abschied nehmen wie das lezte mal.

Ich wüste keine schönere Belohnung für Ihre Nähstunde meinetwegen,
als wenn das niedliche engelblasse Kind, das Sie in eine Nonne schwarz
eingekleidet haben, Ihnen darin sein Lächeln entgegenbringen könte.

Grüssen Sie die mit der Natur auflebende liebe Platner!

Fliegen Sie mir alle, wenn ich in die Stube trete — die ich dasmal
ungescheuet offen lasse — freudetrunken entgegen! Und thun Sie Ihrem
vorigen Tischnachbar, und künftigen Gassennachbar überal seinen
Willen! Das wird ihn laben! Adieu, Liebe!

Jean Paul

Textgrundlage

Jean Pauls Sämtliche Werke, Historisch-kritische Ausgabe. Dritte Abteilung, Band 3. Hrsg. v. Eduard Berend. Berlin: Akademieverlag, 1959.

Kommentar (der gedruckten Ausgabe)

H: Berlin acc. ms. 1901. 9 (derzeit BJK). 4 S. 8°. K: Charlotte Reim 18 Ap. i: Beilage der LeipzigerZeitung, 1881, Nr. 70. B: IV. Abt., III.1, Nr. 46.

Wilhelmine Charlotte Reim, die Schwester der vorigen, get. 29. Mai1780 in Leipzig, später mit dem Archidiakonus Bauer verheiratet.

How to cite

Jean Paul - Sämtliche Briefe (statisch), herausgegeben von Hanna und Ronja, LaLe 2025 (https://acdh-tool-gallery.github.io/jean-paul-briefe-static/III_85.html)