Von Jean Paul an Wilhelmina Charlotte Reim. Hof, 18. April 1798.
Brieftext
Sie hingegen, gute Charlotte, haben Ihren Brief nicht so kurz
gefasset wie Ihr Haar, sondern mir wenigstens die eine Hälfte meines
Willens gethan. Ihr lieber Brief brachte meiner Phantasie
Ihre
Augen, Ihre Stimme, Ihr Haar, Ihren Mund — diesen
indessen
doch nicht ganz — und sogar das Fenster
mit, wo ich Sie oft quäle.
Ich hoff’ es bald wieder zu thun; und da ein Christ täglich sterben
sol, wil ich von Ihnen täglich Abschied nehmen wie das lezte
mal.
Ich wüste keine schönere Belohnung für Ihre Nähstunde meinetwegen,
als wenn das niedliche engelblasse Kind, das Sie in eine Nonne
schwarz
eingekleidet haben, Ihnen darin sein Lächeln
entgegenbringen könte.
Grüssen Sie die mit der Natur auflebende liebe Platner!
Fliegen Sie mir alle, wenn ich in die Stube trete — die ich dasmal
ungescheuet offen lasse — freudetrunken entgegen! Und thun Sie
Ihrem
vorigen Tischnachbar, und künftigen Gassennachbar
überal seinen
Willen! Das wird ihn laben! Adieu,
Liebe!
How to cite
Jean Paul - Sämtliche Briefe (statisch), herausgegeben von Hanna und Ronja, LaLe 2025 (https://acdh-tool-gallery.github.io/jean-paul-briefe-static/III_85.html)