Von Jean Paul an Christian Otto. Leipzig, 8. Juni 1798.
Brieftext
Heute, Guter, schreib ich dir eilig, weil ich andern so viel zu schreiben
habe. Ich wohne bei Buchbinder Rüger,
hab’ aber alle euere Briefe
bekommen. Den 31 Mai kamen wir alle hier an aus Dresden,
nicht
aus Wörliz. Ich reise künftig nie anders als zu Fus und
allein: — mit
der B[erlepsch]
, bei der ich auf der Reise zu viel Egoismus und
Aristokratie gegen Niedre fand, hab’ ich wieder — Friede
gemacht.
Übrigens hat der Gott mit der Binde diese in ein
Freundschaftsband
zerschneiden müssen, wiewohl Ihr, nicht mir, oft alte Wunden
wieder
kommen. Im Frühling 1798
[!] (sub rosa)
geht sie nach England. —
Ich kan dir aus Dresden nur meine Diner- und Souper-Wirthe,
nicht ihre Gäste nennen: geheime Rath
v. Broizen — pp. v. Manteuf
fel, (wo ich die originelle Frau des
Schlegels sah, die Exfrau des
Custine war und Böhmers Tochter ist) — Minister von Wurm
—
Becker — Einsiedel aus Weimar. Bei
Rakeniz war ich ohne Essen, und
zum Hofmarschal v. Bose solt’ ich und zu andern, kont
aber nicht. —
Meine schönen Tage hatt’ ich allein vom Freitag bis zum
Pfingsttag
in Königsbrük bei der Gräfin Münster, (und einer
ungemein schönen
Frau v. Ledebuhr, in die ich mich in 3 lieblichen Tagen als
der einzige
daseiende Man gehörig verschos), mit welchen beiden ich am
Montag
nach dem himlischen Saifersdörfer Thale fuhr,
wo die Berlepsch
auch ankam. Ich war auf dem Königstein um den die Welt wie
um
einen Thron liegt; und im plauischen Grunde, der so wenig
ist, daß
ich in Tharand dachte, nun komm’ er erst, wie in jenem, das
sei schon
Tharand, woran so viel nicht ist. — Auf der Elbe fuhren wir
nach
Meissen, wo wir die Porzellanfabrik besehen
hatten.
Als ich ankam, fand ich stat meines Bruders folgende 2 Briefe,
die du jezt ohne fort zu lesen, lesen
solst, und zwar zuerst No. 1. und
2. — —
[
am Rande:
Schweige noch über dieses alles.] Es war ein giftiger
bitterer einsamer Schmerz, mein Otto und du warst mir
nöthig; nicht
viel Unwille, sondern das weinende Gefühl der
Einsamkeit und seines
bodenlosen Schiksals war darin. Ich
bekam den 2ten zuerst, errieth
alles, sah nach dem Gelde und fand das Gold und einiges Silbergeld
nicht (es mag 100 rtl. oder wie viel
[gewesen sein], ich weis nie mein
Geld und ich gönn es dem Unglüklichen von Herzen in seiner
Wüste)
Noch hab ich ihn nicht wieder, und kan nichts für
ihn thun. Was er
für mich abgeschrieben — jeder Student — und
jeder, der mir verlassen
vorkomt, bringt mir sein Bild. — Sieh
so fässet einen mitten im
Himmel eine kalte erdrückende Hand.
— Bleibt er aus, so hilft er sich
durch sein
Französisches: mein Trost ist sein fester, biederer, besonnener
Karakter. — Lebe wohl, mein Geliebter!
Schicke deine Nummernzettel nicht Beigang, wo sie wegen
der
Geschäfte unmöglich aufbewahret werden, sondern mir. — Ich
habe
herzliche Freude über die deines Bruders gehabt. Ach
warum hab ich
Armer keinen Bruder wie du oder er und keine Schwester wie
du.
Aus Dresden schrieb ich an dich, wie du hoffentlich längst weist.
How to cite
Jean Paul - Sämtliche Briefe (statisch), herausgegeben von Hanna und Ronja, LaLe 2025 (https://acdh-tool-gallery.github.io/jean-paul-briefe-static/III_95.html)